Am Nachmittag machen wir uns auf den Weg, um den Anti-Folk-Liedermacher Jeffrey Lewis zu besuchen. Er wohnt in der East 4ten Straßen im Herzen der Lower East Side von Manhattan – „the old heartland of creative music in New York“.
Jeff hatte vor ein paar Jahren einen Zyklus von Songs geschrieben, die sich alle mit der Musikgeschichte des Viertels befassten. Für ihn ist das Viertel ein spiritueller Ort alternativer Musik, egal ob Folk, Rock, Jazz, avantgardistische E-Musik oder Minimalismus.
Jeffrey ist hier geboren, hat seine Kindheit und Jugend hier verbracht und seine musikalische Lehre hier absolviert. Seine Lehrer waren die Musiker, die hier in den 60er Jahren die Welt auf den Kopf stellten.
Seine These: LA sei eine Autostadt, während in New York (besonders in Manhattan) jeder zu Fuß geht. Das bedeutet: Wenn du hier wohnst, läufst du zwangsläufig ultraberühmten Musikern über den Weg wie Philip Glass, Lou Reed (Velvet Underground) oder Thurston Moore (Sonic Youth). Auf diese Weise traf Jeffrey auch Tuli Kupferberg, den legendären Beat-Lyriker und Gründungsmitglied der Anarcho-Slapstick-Chaos-Band The Fugs. Die beiden freundete sich an. Jeffrey Lewis beschreibt Tuli Kupferberg als „die gute Seele des Viertels“, mit dessen Tod letztes Jahr eine Ära zu Ende ging. Das Wohnumfeld verändert sich seit langem. Seit es wieder „chic“ ist hier zu wohnen, halten auch multinationale Unternehmen wie McDonalds Einzug.
Der STONE in der 2ten Straße ist einer der letzten kreativen Konzerträume, der dem Exodus der Jazzclubs bisher noch widerstehen konnte. Der „concert space“ ist nicht leicht zu finden. Nur an der gläsernen Eingangstür steht sein Name in winzigen Buchstaben. Man muss schon zu der Gruppe verschworener Eingeweihter gehören, um hierher zu finden. Innen ist er eher unspektakulär eingerichtet, fast asketisch: Backsteinwände, Klappstühle, keine Bar!
Zum Eröffnungskonzert der INTAKT-Konzertserie ist viel Publikum gekommen. Der kleine Raum ist rappelvoll bei einer Kapazität von 75 Besuchern. Labelchef Patrik Landolt eröffnet mit ein paar kurzen Begrüßungsworten die Reihe. Mit Musikern seines Labels INTAKT wird er in den nächsten 2 Wochen das Programm bestreiten – zwei Sets pro Abend. Für die Schweizer Musiker eine Ehre. Manche treten das erste Mal in New York auf.
Gitarrist Fred Frith macht mit seinem Trio den Auftakt. Die Band knallt mit brachialer Lautstärke los. Frith hat das Bottleneck-Spiel zu einer Saitenkunst mit vielfältigen Gegenständen entwickelt, die er abwechselnd über das Griffbrett tanzen lässt. Harsche Klänge dominieren. Ein paar Zuhörer verlassen fluchtartig den Raum.
Der zweite Set des Abends macht wett, was dem ersten abging. Jetzt spielt Frith mit dem Schweizer Schlagwerker Lucas Niggli ein einfühlsames Duett. Niggli ist ein quirrliger Perkussionist, der aber auch subtil zu musizieren weiß. Und Frith findet ebenfalls zu recht wolkig zarten Tönen. Die Musik ebbt auf und ab, verdichtet sich und löst sich wieder in Stille auf.
Christoph Wagner