Da fliegt man zum Beispiel von Hamburg nach New York, um Europa einfach einmal ein paar Tage hinter sich zu lassen, da stellt sich einem in Manhattan die Schweiz in den Weg. In allen lokalen Musik-Publikationen angekündigt: Das Zürcher Intakt-Label zu Gast in The Stone.
Am Sonntag die Schaffhauserin Irene Schweizer, die man immer so gern sieht, im Duo mit dem New Yorker Andrew Cyrille, den man noch nie gesehen, von dem man aber all die Platten hat, mit Cecil Taylor damals…
Klavier und Schlagzeug, Rheinfall am East River, Frau versus Mann. Man geht also hin. Aber wo ist The Stone? Man steht vor der angegebenen Ecke im East Village und sieht nichts. Blinde Fenster, kein Schild, keine Tür. Ist das wirklich hier?
Dann ist da doch eine Tür – als sie sich öffnet. Man muss hier hineinwollen, sonst ist man hier nicht richtig. Drinnen schon alles voll und voller Hinweise: keine Fotos, keine Tonaufnahmen, keine Getränke. Nur hören.
Kam die Musik einst aus dem Ritus in die Welt, kehrt sie hier in John Zorns Allerheiligstes zurück. The Stone ist eine Schuhkartonkirche des Klangs. Siebzig Klappstühle, zwei Baumarktstrahler, damit man weiß, wo die Musiker sind. Alles Weltliche fehlt.
Jazz – war das nicht Rauchen und Trinken? Zogen die Musiker 1918 nicht von New Orleans nach Chicago, weil die Bordelle, in denen sie spielten, von Amts wegen geschlossen wurden? Woher kam noch mal das Wort “Funk”? War Jazz nicht immer auch schmutzig und Sex?
Vielerlei geht einem durch den Sinn und auch gar nichts, wenn sich im Flügel die ersten Strudel bilden, Stromschnellen des Boogie-Woogie, die sich in die Savanne wühlen, was für ein Sepia, welch ein Umbra, und man spürt von ferne die Trommeln.
Vieles klingt an, vieles fehlt, eine Momentaufnahme. Nach einer Stunde Beifall, frohes Lachen, Gespräche in Grüppchen, dann entlässt The Stone die Gemeinde in die große Stadt. Hier gibt es Bier, da ein Bett, und gehört ist gehört.
Ulrich Stock, Redaktor DIE ZEIT