Das NY-ZH-Festival ist, zumindest bis heute, ein voller Erfolg: “The Stone” war bisher jeden Abend zweimal ganz oder fast annähernd ausverkauft. Das ist gewiss auch dem monatlich erscheinenden Magazin “New York City Jazz Record” zu verdanken, einem hervorragend gemachten 48seitigen Magazin mit Porträts, Interviews, ausführlichen CD-Kritiken – darunter in diesem Heft gleich sieben Intakt-Platten -, Konzertkritiken und Vorschauen, das in allen New Yorkern Jazzclubs gratis aufliegt. Das Heft bringt in der März-Nummer ein ausführliches Interview mit Pierre Favre und einen längeren Text von Dieter Ulrich über die Schweiz als Land der Schlagzeuger.
Auch in einigen anderen Ausgehmagazinen, etwa dem “TimeOut New York”, gab es kurze Vorschauen auf das Festival oder auf einzelne Konzerte. Und selbst die konservative New York Times, die mit Jazztipps fast so knauserig umgeht wie der Züritipp und fast ausschliesslich die vier, fünf grössten Touristenclubs wie das Birdland, Jazz Standard, Village Vanguard oder Blue Note berücksichtigt, konnte nicht umhin, auf den kommenden Auftritt des Ingrid Laubrock Orchestras im “Stone” hinzuweisen. Und im Jazzradio WBGO stellte der Schlagzeuger Tom Rainey das Festival und seine Musiker während voller zwei Stunden vor.
Dass dennoch “nur” jeweils siebzig, achtzig Leute der Millionenstadt ins “Stone” finden, mag auf den ersten Blick erstaunen, aber: Es widerspiegelt bloss den Zustand der gegenwärtigen amerikanischen Jazzszene. Alles Retro, die Zeiten, in denen Downtown-Stars wie John Zorn, Wayne Horvitz, Elliott Sharp, Don Byron, Anthony Braxton oder Dewey Redman in der legendären “Knitting Factory” jeweils mehrere hundert Leute anzogen, sind längst vorbei. Die “Knitting Factory” hat sich übrigens nach 2000 unter einer neuen Leitung weitgehend auf alternative Rock- und Popmusik spezialisiert und dislozierte im September 2009 nach Brooklyn, weil die sinkenden Besucherzahlen die steigende Miete im East Village nicht mehr einspielten.
Die Szene um John Zorn hatte sich allerdings nach jahrelangen Streitereien mit den neuen Besitzern und Leitern schon früher aus der “Knitting Factory” verabschiedet. Im Frühling eröffnete Zorn an der Norfolk Street, ganz in der Nähe vom heutigen “Stone”, in einer ehemaligen Weinhandlung das “Tonic”. In dem etwas schmuddeligen Lokal entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche ausserordentliche Aufnahmen unter anderem von Medeski Martin & Wood, Zorns Masada-Quartett, von William Parker, Fred Frith und anderen in Europa hochgefeierten Stars der alternativen New Yorker Szene.
Im April 2007 aber musste auch dass “Tonic” aufgeben, als die Besitzer auf einen Schlag die Miete immens erhöhten. Eine Protestdemo nach der Schliessung endete mit einem Polizeieinsatz und der Verhaftung des Gitarristen Marc Ribot und der Sängerin und Schauspielerin Rebecca Moore. Übrig blieb das bereits 2005 eröffnete “The Stone”, das Zorn im Gegensatz zum “Tonic” nicht selber programmiert, sondern Musikern, Bands und Labels für Tage oder Wochen gratis zur Verfügung stellt.
Christian Rentsch