Die Saxophonistin und Komponistin Ingrid Laubrock ist die einzige Musikern am “Intakt”-Festival, die mit ihrem Orchester gleich zwei Sets am gleichen Abend spielen konnte. Nicht von ungefähr: Die 42jährige Deutsche hat sich, seit sie vor drei Jahren nach New York umgezogen ist, zu einer der wichtigsten Figuren der hiesigen Experimentalszene emporgespielt; namhafte Jazzkritiker wie etwa Chris May von “All About Jazz”, der führenden amerikanischen Website für Jazz und Anverwandtes, feierten Laubrock gar als “the new saxophone colossus”, die das Saxophonspiel von Grund auf revolutioniert habe.
Man muss Jazzkritikern – ich weiss zufällig, wovon ich rede – nicht alles glauben, vor allem jenen nicht, die mit Superlativen so freizügig umgehen wie die Banken mit ihren Boni, aber: Laubrock hat mit ihrem Trio “Sleepthief”, dem Quartett “Anti-House” und jetzt mit ihrem achtköpfigen Ingrid Laubrock Orchestra eine eigenwillige Musik entwickelt, die sich tatsächlich vom meisten absetzt, was man sonst in dieser Szene jenseits der “Fingersnipping”-Jazz zu hören bekommt.
Während es bei “Sleepthief” unter anderem darum geht, disparateste Klangpartikel, expressive Ausbrüche, Schreie, Quitscher, Geräusche aus den Randbezirken der “saxophonistischen” Möglichkeiten mit abrupt angeknipsten und ebenso überraschende abbrechenden Rhythmusfiguren und pianistischen Einwürfe in allen Stadien der Zerfranstheit in freier Improvisation ineinander zu verzahnen, steht bei “Anti-House” und dem achtköpfigen Orchester das kompositorische Element weitgehend im Vordergrund. Oft steht am Beginn eine abstrakte kürzere oder längere Linien, eine Zwölftonreihe oder ein sperriges Motiv, darüber legen sich dann andere rhythmische Figuren, ein zweites und drittes Motiv, die sich wie ein mehrdimensionales Puzzle zu komplex konstruierten Strukturen aufschichten. Es gibt fliessende Übergänge, meist aber überraschende Brüche, plötzliche Kollektivimprovisationen, die wie wuchernde Pflanzen die auskomponierten Teile auseinanderbrechen. Im “Stone” spielte das Laubrock Orchestra zwei recht unterschiedliche Sets. Das erste wirkte sehr verhalten, in seiner Unterkühltheit fast ein bisschen akademisch, was durchaus nicht allen sonderlich gefiel, im zweiten Set dominierten dann zunehmend grossartige Kollektivimprovisationen, die gewaltig Schub lieferten, uns alle ziemlich mitrissen und plausibel machten, warum Ingrid Laubrock zu den wenigen europäischen Musikerinnen gehört, die sich mit ihrer kompromisslos eigensinnigen Musik in dieser harten New Yorker Szene so schnell etablieren konnte.
Christian Rentsch
Liebe Intakt-family
Mit grosser Freude lese ich die spannenden Berichte aus dem Stone und NewYork, zusammen mit den sehr eindrücklichen schwarz-weiss Fotos resultiert ein herrliches musikalisches Puzzle. Ich wünsche weiterhin viele tolle Konzerte und danke herzlich für die News aus dem Big Apple.
Maximilian Jaeger