Nichts zu lachen

Nach dem Auftakt vom vergangenen Sonntag im Moods, dessen aufgekratzte Stimmung an die Vorfreuden von Schulreisli erinnerte, hat uns hier in New York der harte Businessalltag wieder eingeholt. Das vorbestellte Equipment für die Auftritte, ein Schlagzeug, die Becken, das Pickup für den Bassverstärker etc. müssen überall in der Stadt abgeholt und ins Stone transportiert werden, die Kommunikation unter den Musikern, die in verschiedenen Hotels und Wohnungen untergebracht sind, funktioniert noch eher rudimentär, die Anfragen von New Yorker Journalisten um Interviews und von Leute, die sich aus erfindlichen oder unerfindlichen Gründen für “Gäste” halten und um Gratiseintritte betteln, erreichen Anja und Patrik derzeit noch etwas umständlich und nicht immer ganz pannenfrei vorwiegend über das Intakt-Headquarters in Zürich.

Die grösste Sorge aber bereitet der Bassist Christian Weber, der am Samstag, also bereits in zwei Tagen, seinen ersten Auftritt haben sollte; er sitzt immer noch in Zürich, dreht Däumchen, ärgert sich und wartet auf sein Arbeitsvisum von der amerikanischen Botschaft. Dort liegt seit zweieinhalb Wochen auf irgendeinem Schreibtisch auch sein Pass; Christian könnte also nicht einmal als gewöhnlicher Tourist einreisen.

Überhaupt der Visa-Albtraum – es lohnt sich, ihn etwas ausführlicher zu erzählen: Dass die amerikanischen Behörden in einer abstrusen Mischung aus Protektionismus, Paranoia und Bürokratie Musikern und anderen Künstlern das Leben schwer machen, dass Musiker ohne gültiges Arbeits-Visum die Einreise verweigert wird und sie gleich mit dem nächsten Flugzeug wieder nach Hause fliegen müssen, ist bekannt. Auch John Zorn, der Leiter des Stone, hat Patrik bereits im letzten Sommer darauf hingewiesen.

Nik Bärtsch, der vor zwei Jahren eine USA-Tournee absolvierte, gab Intakt den Tip, die komplizierte Visafrage in Zusammenarbeit mit der Traffic Control Group TCG, einer international tätigen Agentur für Visa- und Immigrationsfragen, anzupacken. Als effizienteste und finanziell günstigste Lösung – insgesamt gibt es rund 50 unterschiedliche Arbeitsvisa – schlug TCG vor, die 14köpfige Schweizer Musiker-Delegation als Orchester unter der Leitung eines “artist with extraordinary abilities” zu deklarieren. Das erspart den restlichen Musikern den Nachweis, dass sie in den USA durch keinen anderen Musiker ersetzbar seien.

Aber auch so war die Beschaffung der Arbeitsvisa kein Spaziergang. Woche und Woche, insgesamt mehrere hundert Stunden sassen Anja Illmaier von Intakt und der Gitarrist Philipp Schaufelberger, welche die Organisation der Visa übernommen hatten, über ihren Formularen, am Computer und am Telefon, halfen den Musikern beim Ausfüllen der Formulare und liessen geduldig und mit bloss leisen Murren noch die unsinnigsten Schikanen der Amerikaner über sich ergehen.

Für Pierre Favre bedeutete die “Orchesterleitung”, dass er sich vor den Amerikanern fast bis aufs Hemd ausziehen musste. Verlangt wurde ein ausführliches, rund 50seitiges englischsprachiges Dossier als Nachweis seiner ausserordentlichen Fähigkeiten: Presseunterlagen von internationalen Tourneen, Bestätigungen von Pro Helvetia, der Stadt Zürich und anderen namhaften Institutionen, Auszeichnungen, Preise, Schallplatten und CDs. Dazu die Beantwortung von rund 50 Fragen, die bis in die intimsten Details gehen, über seine Eltern, seine Kinder, seine Ehen und den Verlauf seiner Scheidungen etc.

Das heisst allerdings nicht, dass die übrigen Musiker ungeschoren davon kamen: Auch sie hatten umfangreiche Dossiers abzuliefern, die neben persönlichen Angaben auch ihren musikalischen Werdegang und insbesondere auch ihre beruflichen Beziehungen zu Pierre umfassten.
Damit nicht genug: Jede Musikerin, jeder Musiker musste zusätzlich auf einen je individuellen Termin in der Botschaft antraben – ausdrücklich ohne Taschen, ohne Handy und andere terrorverdächtige Utensilien, aber mit Pass, Passfoto und einem frankierten Couvert mit der eigenen Adressen. Selbst für den in Berlin lebende Posaunisten Samuel Blaser gab es kein Pardon. Nach Durchsicht der eingereichten Dokumente durften die Musiker immerhin freundlicherweise wieder nach Hause gehen, allerdings ohne ihren Pass. Dieser wurde ihnen zwei, drei Tage später im frankierten Couvert hinterher geschickt.

Ausser demjenigen von Christian Weber. Ob es daran liegt, dass es zu viele Christian Webers auf der Welt gibt und die Fahndungscomputer der vereinigten amerikanischen Geheimdienste und der Home Security zu heiss liefen, oder daran, dass Weber erst kürzlich Konzerte in Malaysia gab und sich dort möglicherweise einer islamischen Terrorgruppe angeschlossen haben könnte, wer weiss es schon …

Bis heute Donnerstagabend blieben jedenfalls alle möglichen und unmöglichen Versuche und Demarchen, selbst der stadtzürcherischen Verwaltung und des EDA erfolglos.

Trotzdem: In drei Stunden geht es hier los mit einem Trio des Gitarristen Fred Frith mit dem Bassisten Ismaily Shahzad und dem Schlagzeuger Matthias Bossi und einem Duo von Frith mit Lucas Niggli.

Christian Rentsch

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