Am Nachmittag lese ich Dieter Ulrichs Artikel „Switzerland – A Drummer’s Country“ in der Zeitschrift „New York City Jazz Record“, der wohl besser mit „Switzerland – A Drummers Country“ (Die Schweiz – ein Land von Schlagzeugern) überschrieben gewesen wäre. Darin spürt Ulrich dem Phänomen nach, warum es in der Schweiz überdurchschnittlich viele überdurchschnittliche Schlagzeuger gibt. Die Diagnose stimmt, allerdings präsentiert er dann doch eine recht steile These, wenn er behauptet: „But, of the five leading European drummers born between 1930-40, four were Swiss.“ I beg your pardon!!!! Was ist mit Jaki Liebezeit (Jahrgang 1938), Ralf Hübner (Jg. 1938), Ginger Baker (Jg. 1939), Kenny Clare (Jg. 1929), Mani Neumeier (Jg. 1940), Hartwig Bartz (Jg. 1936) und Joe Nay (Jg. 1934) to name just a few. Schweizer Kirchturmblick?
Im STONE geht nach der montäglichen Auszeit das INTAKT-Festival weiter. Dieter Ulrich (Schlagzeug), Oliver Lake (Altsaxofon) und William Parker (Baß), der für Christian Weber eingesprungen ist, explodieren in einem Set, der noch einmal die glorreiche Blütezeit des Freejazz der 60er und 70er Jahre heraufbeschwört. Expressive Saxofonschreie, dichtes Trommelspiel und sonore Baßläufe verdichten zu energetischen Entladungen.
Versonnener präsentiert sich die zweite Band des Abends. Das Ad-Hoc-Trio von Tim Berne (Altsaxofon), Angelica Sanchez (Piano) und Lucas Niggli (Drums) beginnt mit zirkularen Linien, die sich ineinander verschränken, um sich danach langsam auszudifferenzieren. Nach dynamischen Steigerungen kehrt die Gruppe immer wieder zum leiseren Spiel zurück, bei dem poetische Klänge die Atmosphäre bestimmen.
Christoph Wagner