6. März 2012

Wir gehen zum Interview zu Ellery Eskelin. Er wohnt in der 43sten Straße ziemlich westlich in einem Hochhaus, das Musikern vorbehalten ist. In den 80er Jahre habe ich hier einmal den Bassisten Fred Hopkins besucht, der ein paar Jahre später verstarb. Wir melden uns beim Pförtner. Er kündigt uns bei Ellery an, während wir uns ins Gästebuch eintragen. Dann winkt er uns durch. Mit dem Lift geht’s nach oben. Ellery öffnet die Tür und fragt, wen wir besuchen wollen, wir seien hier wohl falsch. Ein bisschen verwirrt sage ich: „Wir haben eine Verabredung mit Santa Claus .“ „Santa Claus?“ fragt Ellery zurück. „Wohnt nicht hier.“ Die Situation nimmt kafkaeske Züge an. Erst als ich sage: „Wir sind hier wegen des Interviews!“ fällt bei ihm der Groschen und ich wette, er wäre vor Peinlichkeit am Liebsten im Boden versunken. „Oh, my god – sorry! Hatte ich total vergessen. Ist mir unendlich peinlich – kommt rein!“

Es wird ein interessantes Gespräch, in welchem er präzise den Stilwandel begründet, den er seit ein paar Jahren vollzogen hat und der beim Konzert im STONE so kontrovers aufgenommen wurde. Eskelin will vom konventionellen modernen Jazzsaxofonspiel weg, weil er das Gefühl hat, dass auf dem Weg in die Moderne etwas verloren gegangen ist, eine Qualität, die das Spiel der alten Jazzsaxofonisten noch hatte: eine vokale Qualität, etwas Singhaftes, Improvisationen, die mit weniger Tönen auskamen, mehr Ausdruck, weniger Schnörkel und Verzierungen. Ihm schwebt vor, zu einfacheren Melodielinien zurückzukehren und so den „Spirit“ des alten Jazz in einem modernen Rahmen wieder auferstehen zu lassen. Keine Nostalgieveranstaltungen also, sondern Innovation aus dem Geist der Tradition. Folgerichtig spielt er ein Saxofon, Baujahr 1927. Es ist schwieriger zu bedienen ist, klingt aber anders.
   
Nach dem Gespräch fahren wir in den 46sten Stock hoch, um auf Manhattan herabzuschauen und ein paar Fotos zu machen. Menschen werden zu Ameisen, Autos zu Spielzeugautomobilen.

Christoph Wagner

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