Konzerte von 4. März 2012

Früh morgens geht es auf den Flohmark – “Vinyl hunt!”. Es fallen mir die wildesten Alben in die Hände, 30 insgesamt – wie krieg ich die nur nach Europa? Darunter befindet sich die erste LP des südafrikanischen Trompeters Hugh Masekela, 1966 in LA eingespielt mit Big Black (Conga) – eine echte Perle!

Am Nachmittag besuchen wir den deutschen Vokalisten Theo Bleckmann zum Interview in seinem Apartment in “Midtown”- Manahattan mit tollem Blick auf das Empire State Building. Bleckmann lebt schon länger in New York, liebt die Stadt und bietet uns exquisite bunte Schokolade an. Er ist mit interessanten eigenen Projekten aktiv, aber auch im Ensemble von Meredith Monk engagiert.

Mit dem Quartet Objects Trouvés tritt Samstagnacht zum ersten Mal eine rein Schweizerische Gruppe auf. Das Ensemble, angeführt von der Pianistin und Komponistin Gabriela Friedli, beweist mit einem verschlungenen modernen Jazz, der sich durch notierte und frei improvisierte Passagen schlängelt, dass es sehr wohl auf internationalem Parkett mithalten kann.

In der zweiten Halbzeit betritt das Duo von Ellery Eskelin (Tenorsaxofon) und Michael Griener (Schlagzeug) das Spielfeld. (Auch die beiden musste auf Christian Webers Bass verzichten.) Eskelin ist ein durch und durch amerikanischer Saxofonist, ein narrativer „Storyteller“ in dessen abstrakten Linien in jeder Note das Blueserbe durchscheint. Er spielt sparsam und setzt die Töne so konzentriert und aussagekräftig wie bei einer Ballade. Michael Griener sorgt für einen wunderbar schwebenden Puls. Darüber hinaus setzt er melodische Akzente, in dem er kleine Metallcymbals wie ein Westentaschen-Gamelan aufklingen lässt. Unwillkürlich kommt ‘Interstellar Space’ in den Sinn, das bahnbrechende Album von John Coltrane und Rashied Ali aus dem Jahr 1967.

Christoph Wagner

Konzerte von 3. März 2012

Samstag ist der Tag von Julian Sartorius, dem jungen Schlagzeug-Talent aus der Schweiz (und mit dem Saxofonisten Michael Jaeger wohl der Benjamin des gesamten INTAKT-Festivals im STONE). Zuerst ist Sartorius im Duo mit der Pianistin Sylvie Courvoisier zu hören, die aus Lausanne stammt, aber schon lange in New York lebt, hier verheiratet ist und deshalb getrost der amerikanischen Szene zugerechnet werden kann. Das Duo wird eine eindrückliche Begegnung des kreativen Austauschs. Courvoisier fächert die ganze Palette pianistischer Möglichkeiten auf, während Sartorius mit subtiler Perkussion und dichtem melodischen Schlagzeugspiel ihr auf gleicher Augenhöhe begegnet.

Im zweiten Set des Abends sitzt Sartorius dann auf dem Schlagzeugstuhl im Quartett von Co Streiff (Altsaxofon) und Russ Johnson (Trompete). Komplettiert wird das Ensemble durch den Bassisten Michael Bates, der in letzter Minute für Christian Weber eingesprungen ist, weil dieser wegen Visa-Ärgernissen es nicht über den Teich geschafft hat. Trotz dieser Ad-Hoc-Umstellung klingt die Band wie aus einem Guss. Ihr swingender, an Ornette Colemans klassischem Quartett ausgerichteter Stil bildet eine willkommene Abwechslung zu den freien Improvisations-Explorationen, die die beiden ersten Tage dominierten. Und die Band besitzt Feuer, weiss Spannungspotentiale aufzubauen und mit Dynamik zu arbeiten.

Christoph Wagner

Gut angekommen / The Stone II

Das NY-ZH-Festival ist, zumindest bis heute, ein voller Erfolg: “The Stone” war bisher jeden Abend zweimal ganz oder fast annähernd ausverkauft. Das ist gewiss auch dem monatlich erscheinenden Magazin “New York City Jazz Record” zu verdanken, einem hervorragend gemachten 48seitigen Magazin mit Porträts, Interviews, ausführlichen CD-Kritiken – darunter in diesem Heft gleich sieben Intakt-Platten -, Konzertkritiken und Vorschauen, das in allen New Yorkern Jazzclubs gratis aufliegt. Das Heft bringt in der März-Nummer ein ausführliches Interview mit Pierre Favre und einen längeren Text von Dieter Ulrich über die Schweiz als Land der Schlagzeuger.

Auch in einigen anderen Ausgehmagazinen, etwa dem “TimeOut New York”, gab es kurze Vorschauen auf das Festival oder auf einzelne Konzerte. Und selbst die konservative New York Times, die mit Jazztipps fast so knauserig umgeht wie der Züritipp und fast ausschliesslich die vier, fünf grössten Touristenclubs wie das Birdland, Jazz Standard, Village Vanguard oder Blue Note berücksichtigt, konnte nicht umhin, auf den kommenden Auftritt des Ingrid Laubrock Orchestras im “Stone” hinzuweisen. Und im Jazzradio WBGO stellte der Schlagzeuger Tom Rainey das Festival und seine Musiker während voller zwei Stunden vor.

Dass dennoch “nur” jeweils siebzig, achtzig Leute der Millionenstadt ins “Stone” finden, mag auf den ersten Blick erstaunen, aber: Es widerspiegelt bloss den Zustand der gegenwärtigen amerikanischen Jazzszene. Alles Retro, die Zeiten, in denen Downtown-Stars wie John Zorn, Wayne Horvitz, Elliott Sharp, Don Byron, Anthony Braxton oder Dewey Redman in der legendären “Knitting Factory” jeweils mehrere hundert Leute anzogen, sind längst vorbei. Die “Knitting Factory” hat sich übrigens nach 2000 unter einer neuen Leitung weitgehend auf alternative Rock- und Popmusik spezialisiert und dislozierte im September 2009 nach Brooklyn, weil die sinkenden Besucherzahlen die steigende Miete im East Village nicht mehr einspielten.

Die Szene um John Zorn hatte sich allerdings nach jahrelangen Streitereien mit den neuen Besitzern und Leitern schon früher aus der “Knitting Factory” verabschiedet. Im Frühling eröffnete Zorn an der Norfolk Street, ganz in der Nähe vom heutigen “Stone”, in einer ehemaligen Weinhandlung das “Tonic”. In dem etwas schmuddeligen Lokal entstanden in den folgenden Jahren zahlreiche ausserordentliche Aufnahmen unter anderem von Medeski Martin & Wood, Zorns Masada-Quartett, von William Parker, Fred Frith und anderen in Europa hochgefeierten Stars der alternativen New Yorker Szene.

Im April 2007 aber musste auch dass “Tonic” aufgeben, als die Besitzer auf einen Schlag die Miete immens erhöhten. Eine Protestdemo nach der Schliessung endete mit einem Polizeieinsatz und der Verhaftung des Gitarristen Marc Ribot und der Sängerin und Schauspielerin Rebecca Moore. Übrig blieb das bereits 2005 eröffnete “The Stone”, das Zorn im Gegensatz zum “Tonic” nicht selber programmiert, sondern Musikern, Bands und Labels für Tage oder Wochen gratis zur Verfügung stellt.

Christian Rentsch

Studiobesuch

Auf einem Streifzug den Broadway hoch begegnet uns ein drahtiger älterer schwarzer Herr mit Käppi, dünnen Rastalocken, riesiger Sonnenbrille und ganz exquisit gekleidet. Er ist in sich gekehrt, rezitiert und raunt aber seltsame Verse in einer geheimnisvollen Sprache beim Gehen. Erst als wir schon längst an ihm vorbei sind, dämmert es mir: I think I saw Cecil Taylor. Jeffrey Lewis hatte schon recht. In Downtown Manhattan muss man nur lang genug herumlaufen, bis einem irgendeine Berühmtheit über den Weg läuft. Allerdings muss man sie auch erkennen.

Am Nachmittag Besuch in Brooklyn im Trout Studio, einem flachen Industriebau an der 3rd Avenue, wo Elliott Sharp, Melvin Gibbs und Lucas Niggli mit Aufnahmen beschäftigt sind. Ein neues Album soll entstehen. Als wir eintreffen, ist das meiste bereits im Kasten. Die drei haben schon morgens um 10:30 begonnen. Das Studio ist auf ‘Vintage’-Aufnahmen spezialisiert und mit exquisitem Equipment ausgestattet – keine Digitalgeräte von der Stange. Der Toningenieur erzählt, dass hier von John Zorn über Anthony & The Johnsons bis zu Joan As A Police Woman schon viele Einspielungen gemacht haben.

Es wird zuerst auf Band aufgenommen, was dann in den digitalen Mischpult eingespeist wird. Was zu Ohren kommt, hört sich äußerst vielversprechend an: ein mächtiger Sound aus weit hinaussegelnden Gitarrenklängen, treibendem Schlagzeug und einem wuchtigem Baß, der – im Gegensatz zum Konzert am Vorabend – endlich richtig zur Geltung kommt.

Christoph Wagner

The Stone (I)

Wer “The Stone” zum ersten Mal sucht, muss detektivische Fähigkeiten haben; der Club macht sich klein: Ausser einer kleinen Anschrift an der Tür deutet nichts darauf hin, dass sich in diesem unscheinbaren Eckhaus an der Avenue C/2nd Street der vielleicht interessanteste New Yorker Club für experimentelle und frei improvisierte Musik versteckt. Auch drinnen geht alles ohne Glanz & Gloria. “The Stone” ist eine grosse Schuhschachtel, ein schmuckloser Raum, es gibt keine Bar, weder Bühne noch Musikergarderobe. Man sitzt eng aufeinander auf Klappstühlen. 74 Plätze hat die Feuerpolizei erlaubt, mehr als 80 Personen haben eh nicht Platz; hin und wieder kommt die Feuerwehr und schaut, ob die Anordnung eingehalten wird.

Stone-Entry
Photo by Manuel Wagner (mail[at]wagnerchic.com)

Auch sonst geht es einfach zu und her. An der Kasse steht ein “Volunteer”, einer der rund zwanzig freiwilligen Helfer, ohne deren Gratisarbeit es nicht gehen würde. Pro Abend werden zwei Sets gespielt, um Viertel nach Zehn ist definitiv Schluss, damit die duldsamen Nachbarn über dem Club ins Bett und die freiwilligen Helfer, die an der Kasse stehen, die Klappstühle wegräumen und den Raum putzen, nach Hause gehen können. Der Eintritt, zehn Dollar pro Set, kommt zu hundert Prozent den Musikern zugute. Wer nicht direkt von den auftretenden Musikern eingeladen wird, bezahlt; das gilt auch für Journalisten und andere “zugewandte Orte”.

Geleitet wird der Club vom Saxophonisten, Komponisten und Produzenten John Zorn, seit den 80er Jahren einem der weltweit führenden Protagonisten der zeitgenössischen Jazz- und Experimentalmusikern, und eine der rührigsten Zentralfiguren der New Yorker Avantgardeszene. Sein Betriebskonzept ist radikal und radikal unkompliziert: Er stellt den Musikern den Raum zur Verfügung, um alles Übrige müssen diese selbst besorgt sein. Das ganze hauseigene Equipment besteht aus einem Flügel, einem Schlagzeug und einem Bassverstärker. Einmal im Monat spielen Zorn und befreundete Musiker zu einem Eintrittspreis von 25 Dollar, um die Miete einzuspielen.
Seit rund zwei Jahren übergibt John Zorn die Programmierung durchschnittlich einmal im Monat jeweils für zwei Wochen einem kleineren, meist amerikanischen Label aus der Indie- und Experimentalszene. Nach Winter&Winter aus Deutschland und Clean Feed aus Portugal ist Intakt das dritte europäische Label, das im Stone sein Programm vorstellen kann.

Christian Rentsch

Photos from Concert FRED FRITH–CO STREIFF

FRITH-STREIFF
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All photos by Manuel Wagner (mail[at]wagnerchic.com)

Land Of Freedom And Democracy

Ich werde beschützt. Oder werde ich überwacht? Wer weiss das heute schon. Wie auch immer: Draussen vor meinem Apartment im Parterre des Off Soho Suites Hotels, steht eine Freiheitsstatue und schaut mir beim Scheiben über die Schultern. Am ersten Abend haben wir uns jeweils noch freundlich zugenickt. Inzwischen hat sich unser Verhältnis etwas abgekühlt. Was, frage ich sie, hat Christian Weber verbrochen, dass er als einziger der Zürcher Musiker, nicht ins gelobte “land of freedom and democracy” einreisen darf? Oder: Was haben wir nicht verbrochen, dass wir einreisen durften?

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Photo: Christian Rentsch

Hat er vielleicht auf einem der Formulare das Geburtsdatum seiner Grossmutter falsch angegeben? Hat er ein Bankkonto bei der Wegelin Bank? Oder hat er einfach zu wenig freundlich gelächelt, als er vor vier Wochen auf er amerikanischen Botschaft antraben und seinen Pass abgeben musste? Wir wissen es nicht, und meine Freiheitsstatue vor dem Fenster hüllt sich in Schweigen.

Inzwischen ist klar: Christian Weber muss seine drei Auftritte im Stone mit dem Co Streiff -Russ Johnson-Quartet, mit Ellery Eskelin und Michael Griener und mit Oliver Lake und Dieter Ulrich fahren lassen. Alles Bitten und Flehen, alle Demarchen über diverse diplomatische Kanäle haben nicht genützt. Am Freitag Nachmittag erhielt Weber von der amerikanischen Botschaft ein E-Mail, in dem es hiess: “Your case is in administrative processing, the duration of which is case-specific and cannot be predicted. The Embassy does not control the process but we will get back to you as soon as possible.” Wie würden wohl die Amerikaner reagieren, wenn man Dave Douglas oder Herbie Hancock mit ähnlich lausigen Argumenten die Einreise in die Schweiz verbieten würde?

Im Stone aber hat inzwischen das NY-ZH-Festival begonnen.

Christian Rentsch

Photos from Concert FRITH – SHAHZAD – BOSSI

FRITH-SHAHZAD-BOSSI

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Photos from Concert FRED FRITH – LUCAS NIGGLI

FRED-FRITH-LUCAS-NIGGLI

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