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Von Christian Weber, der seine drei Auftritte in New York längst verpasst hat und immer noch darauf wartet, dass ihm die US-Botschaft wenigstens seinen Pass zurückschickt, gibt es Neuigkeiten: Am vergangenen Donnerstag erhielt “dear Mr. Weber” von der amerikanischen Botschaft ein E-Mail, dass seiner Reise in die USA grundsätzlich nichts mehr im Wege stehe. Man erwarte jetzt, dass er der Botschaft innerhalb von 120 Tagen eine Kopie dieses E-Mail, ein an sich selbst adressiertes und frankiertes Couvert und seinen Pass zustelle.

Auf der amerikanischen Botschaft scheint man ein bisschen die Übersicht verloren zu haben, vielleicht sind ja auch die Demarchen des EDA in dieser Sache in irgendeinem Sichtmäppchen verschwunden und warten auf ihre Bearbeitung innerhalb von 120 Tagen. Aber Amerika hat ja derzeit auch andere Sorgen. Ob sie die Iraner wohl auch auf diese Weise in Verwirrung bringen wie unseren Christian Weber? Etwa durch ein E-Mail: “Dear Mr. Ahmadinejad, we expect you to send your non-existing military nuclear program in a stamped envelope to the Department of State in Washington. Kind regards, Mrs. Hillary Clinton”.

Christian Rentsch

Kompromisslos eigensinnig

Die Saxophonistin und Komponistin Ingrid Laubrock ist die einzige Musikern am “Intakt”-Festival, die mit ihrem Orchester gleich zwei Sets am gleichen Abend spielen konnte. Nicht von ungefähr: Die 42jährige Deutsche hat sich, seit sie vor drei Jahren nach New York umgezogen ist, zu einer der wichtigsten Figuren der hiesigen Experimentalszene emporgespielt; namhafte Jazzkritiker wie etwa Chris May von “All About Jazz”, der führenden amerikanischen Website für Jazz und Anverwandtes, feierten Laubrock gar als “the new saxophone colossus”, die das Saxophonspiel von Grund auf revolutioniert habe.

Man muss Jazzkritikern – ich weiss zufällig, wovon ich rede – nicht alles glauben, vor allem jenen nicht, die mit Superlativen so freizügig umgehen wie die Banken mit ihren Boni, aber: Laubrock hat mit ihrem Trio “Sleepthief”, dem Quartett “Anti-House” und jetzt mit ihrem achtköpfigen Ingrid Laubrock Orchestra eine eigenwillige Musik entwickelt, die sich tatsächlich vom meisten absetzt, was man sonst in dieser Szene jenseits der “Fingersnipping”-Jazz zu hören bekommt.

Während es bei “Sleepthief” unter anderem darum geht, disparateste Klangpartikel, expressive Ausbrüche, Schreie, Quitscher, Geräusche aus den Randbezirken der “saxophonistischen” Möglichkeiten mit abrupt angeknipsten und ebenso überraschende abbrechenden Rhythmusfiguren und pianistischen Einwürfe in allen Stadien der Zerfranstheit in freier Improvisation ineinander zu verzahnen, steht bei “Anti-House” und dem achtköpfigen Orchester das kompositorische Element weitgehend im Vordergrund. Oft steht am Beginn eine abstrakte kürzere oder längere Linien, eine Zwölftonreihe oder ein sperriges Motiv, darüber legen sich dann andere rhythmische Figuren, ein zweites und drittes Motiv, die sich wie ein mehrdimensionales Puzzle zu komplex konstruierten Strukturen aufschichten. Es gibt fliessende Übergänge, meist aber überraschende Brüche, plötzliche Kollektivimprovisationen, die wie wuchernde Pflanzen die auskomponierten Teile auseinanderbrechen. Im “Stone” spielte das Laubrock Orchestra zwei recht unterschiedliche Sets. Das erste wirkte sehr verhalten, in seiner Unterkühltheit fast ein bisschen akademisch, was durchaus nicht allen sonderlich gefiel, im zweiten Set dominierten dann zunehmend grossartige Kollektivimprovisationen, die gewaltig Schub lieferten, uns alle ziemlich mitrissen und plausibel machten, warum Ingrid Laubrock zu den wenigen europäischen Musikerinnen gehört, die sich mit ihrer kompromisslos eigensinnigen Musik in dieser harten New Yorker Szene so schnell etablieren konnte.

Christian Rentsch

9. März 2012

Gestern Abend trafen Gabriela Friedli (Piano) aus Zürich, Schlagzeuger Michael Griener aus Berlin und der amerikanische Saxofonisten Tony Malaby in einer spontanen improvisatorischen Begegnung zusammen. Es wurde ein Set, bei dem die drei alle Register zogen. Manchmal pointilistisch, manchmal eher aufschäumend-kraftvoll, dann wieder leise, jedem einzelnen Ton nachhorchend, entfaltete sich ein faszinierender Klangkosmos.

Im zweite Set des Abends trafen zwei Melodiker aufeinander: der Schweizer Schlagwerker Pierre Favre, fast schon eine Schlagzeug-Legende, und der Violinist Mark Feldman aus New York. Geräuschhafte Klangerkundungen kamen bei ihrem Auftritt nicht vor. Favre trommelte in seiner unvergleichlich melodischen Weise vor allem auf Snare, Toms und zwei Baßtrommeln und brillierte darüber hinaus in gelegentlichen Drum-Solos, die einem Ginger Baker zur Ehre gereicht hätten, während man in Feldmans Violinspiel vielerlei Einflüsse hören kann. Von der Tonalität der 2. Wiener Schule über Balkan-Folklore bis zu Anklänge an das chinesische Streichinstrument Erhu (in Titeln wie „Der Kranich fliegt über das Wasser“) war vieles zu vernehmen. Feldman ist ein unglaublicher Techniker mit makellosen Intonation selbst in den höchsten Lagen. Ich wette: Wäre er 1970 schon auf der Szene gewesen, hätte ihn John McLaughlin in sein Mahavishnu Orchestra geholt.

Um Mitternacht sind wir wieder zuhause in unserer Bleibe in der Mulberry Street. Die erste „Knitting Factory“ lag gleich um die Ecke. Ich habe dort in den 80ern ein paar denkwürdige Konzerte erlebt. Auf dem Heimweg hat uns Michael Griener noch ein paar kulinarische Tipps gegeben: Gewusst wo, ist billiges tolles Essen in New York vielerorts zu finden. Als ich dann mein kleines Radiogerät anschalte, hat bereits auf WKCR das Programm zum 82. Geburtstag von Ornette Coleman begonnen, in dessen Rahmen der Sender 24 Stunden rund um die Uhr ausschließlich Musik des Avantgarde-Pioniers spielen wird. Ich habe vor, mich im Lauf des Tages immer wieder in die Sendungen einzuklinken – what a fantastic chance!

Christoph Wagner

Spiel ohne Netz

Keiner wagte so viel wie Lucas Niggli und hatte damit solch einen Erfolg. Als Patrik Landolt ihn im vergangenen Herbst anfragte, mit welcher seiner Gruppen er im “Stone” auftreten möchte, entschied sich Niggli für die radikalste Lösung: Am liebsten wären ihm überraschende Begegnungen mit Musikern, mit denen er noch nie zuvor – oder zumindest noch nie in dieser Konstellation – zusammen gespielt habe. Die beiden Auftritt mit dem Soundtüftler Fred Frith und mit dem Saxophonisten Tim Berne und der Pianistin Angelica Sanchez gehörten denn auch zu den Highlights der ersten Festivalwoche. “Mit Fred Frith habe ich erst einmal mit einer grösseren Formation (als “Gast” auf der CD “The Big Picture” mit dem Arte Quartett) zusammengespielt; Time Bern, den ich seit langen hoch verehre, hat, ohne mich persönlich zu kennen, wunderbare Linernotes für meine CD ‘Crash Cruise’ geschrieben. Und die Pianistin Angelica Sanchez, die mir völlig unbekannt war und die Berne mit ins Spiel gebracht, war ohnehin eine sensationelle Entdeckung für mich.”

Ein drittes Set mit dem rockig- speedigen Gitarristen Elliott Sharp und dem Bassisten Melvin Gibbs litt etwas darunter, dass nach wenigen Minuten der Bassverstärker von Gibbs ausstieg und die drei Musiker nach einem langen, hektischen Unterbruch es nicht ganz leicht hatten, wieder so richtig in Fahrt zu kommen. Am folgenden Tag aber nahmen die drei im “Trout”-Studio in Brooklyn eine CD auf. “Da ging dann die Post ab wie verückt, innerhalb von drei Stunden hatten wir die ganzen Aufnahmen eingespielt.”

“Für mich waren diese Tage in New York ein unglaublich intensives Erlebnis”, meine Niggli vor seinem Rückflug nach Zürich, “in welche anderen Stadt kann man so etwas haben: Am Vormittag ein hervorragendes Konzert mit Bach-Kantaten in der Trinity Church und nach Mitternacht noch zwei grandiose Sets von Butch Morris mit seinem Nublu-Orchestra, alles unbekannte, hochtalentierte junge Musiker. Und drei Auftritte innerhalb von drei Tagen mit fünf grossartigen Musikerinnen und Musikern vor einem sehr aufmerksamen, konzentrierten Publikum. Das könnte man hier während Wochen so haben, die Musikszene, die Museen, die vielen unkomplizierten Begegnungen mit aussergewöhnlichen Musikern, die einen ohne Umstände herzlich empfangen. Unglaublich. Und ein Riesengeschenk auch von Patrik und seinem Intakt-Label, denn: Dank der intensiven Vernetzung von Intakt mit der New Yorker-Szene öffnen sich sofort viele Türen. Die meisten dieser Musiker kennen meine Arbeit aufgrund der vielen CDs, die ich bei Intakt veröffentlicht habe, sehr genau und sind interessiert daran, einen zu treffen und kennenzulernen. Aber: Längere Zeit hier leben könnte ich nicht; die Intensität ist so überwältigend, dass ich wohl kaum mehr zum Arbeiten käme. Ich würde mich auf die Dauer auflösen wie eine Brausetablette. Ich brauche auch Ruhe, um mich konzentrieren zu können.”

Christian Rentsch