«Schweizer Jazz ist eine wahre Macht»

Jazz Eine neue Generation von Schweizer Jazzmusikern findet international Gehör

Stefan Künzli

Für den Schweizer Jazz war 2012 ein trauriges Jahr. Nacheinander starben die Jazz-Pioniere Hazy Osterwald, Flavio Ambrosetti und Kurt Weill, die alle für die Entwicklung des modernen Jazz entscheidende Impulse gegeben haben. Höhepunkt dieser traurigen Serie war der Tod von George Gruntz im Januar 2013, der mit seinem Schaffen weit über die Landesgrenzen ausstrahlte und den europäischen Jazz prägte.

Der Schweizer Jazz hat seine grossen Aushängeschilder verloren. Als wichtigste Botschafter dieser Generation der Pioniere sind die Schlagzeuger Pierre Favre (75) und Daniel Humair (74), Trompeter Franco Ambrosetti (71) sowie die Pianistin Irene Schweizer (71) verblieben.

Rusconi für Echo Jazz nominiert

Umso erfreulicher ist, dass eine Generation nachstösst und daran ist, die grosse Lücke zu füllen, die die Pioniere hinterlassen haben. Zum Beispiel das Schweizer Trio Rusconi. Der Pianist Stefan Rusconi ist schon vor zwei Jahren mit dem wichtigsten deutschen Jazzpreis, dem Echo Jazz, als bester Pianist ausgezeichnet worden. Jetzt ist er mit seinem Trio erneut für einen Echo Jazz nominiert worden. In der Kategorie Live-Act des Jahres steht Rusconi neben internationalen Stars wie Wayne Shorter, Esperanza Spalding, Enrico Rava und Rudresh Mahanthappa zur Wahl. Chapeau!

Dabei ist Rusconi keine Ausnahme. Im letzten Jahr konnte die Schweizer Jazzszene mit David Klein und Max Frankl gleich zwei Echo-Jazz-Auszeichnungen für sich beanspruchen. Frankl ist zwar Deutscher, er lebt aber seit Jahren in der Schweiz und hat sich an den Jazzschulen in Basel und Luzern ausbilden lassen. Der Basler Bandleader Klein gewann den Echo für sein Projekt mit der deutsch-iranischen Sängerin Jasmin Tabatabai.

International Spuren hinterlassen hat im letzten Jahr auch Jazztrompeter Peter Schärli, der mit seinem Projekt mit der brasilianischen Sängerin Ithamara Koorax schon zum zweiten Mal auf die «Longlist» der amerikanischen Grammy Awards gewählt wurde. Die internationalen Erfolge sind auch dem deutschen Magazin «Spiegel» nicht verborgen geblieben. Unter dem Titel «Die Groove-Grossmacht» heisst es in einem Artikel vom 30. März: «Die Schweiz ist eine wahre Macht im europäischen Spiel der Jazzkräfte. Der Kleinstaat hat zwar weniger als ein Zehntel der Einwohner von Deutschland, aber im Bereich des Jazz gehört er zu den Führungsnationen des Kontinents.» Trotz des Todes von Gruntz bleibe die Schweiz «ein Jazz-Land».

Für Spiegel sind drei Faktoren für den internationalen Erfolg des Schweizer Jazz verantwortlich: Die sieben Schweizer Musikhochschulen mit ihren Jazzabteilungen und den zum Teil renommierten Lehrern aus aller Welt, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die für den Jazz über ein Budget von 34, 8 Millionen Franken verfügt, sowie das Schweizer Radio SRF, das jährlich bis zu 40 Produktionen für CDs finanziert.

Jazzlabels sind entscheidend

Peter Bürli, Redaktionsleiter Jazz von SRF, relativiert gegenüber der «Nordwestschweiz» die Bedeutung von Radio, Pro Helvetia und Jazzschulen. «Alle drei können nur die Voraussetzungen für den Erfolg, das Fundament für eine blühende Landschaft legen», sagt er, «wir sind für die Breitenförderung zuständig. Für den Durchbruch auf internationaler Ebene können wir wenig beitragen.»

Und das ist heute im Jazz entscheidend. Wer von der improvisierten Musik Erfolg haben und davon leben will, der muss die Landesgrenzen überschreiten und international tätig werden. Hier haben gemäss Bürli die Labels die entscheidende Rolle. Es gäbe aber nur wenige Labels, die punkto Promotion ihre Hausaufgaben wirklich gut machen würden.

In der Schweiz ist es nur das Label intakt, des umtriebigen Labelchefs Patrik Landolt, das international eine gewisse Wirkung hat. Landolt kämpft aber mit den knappen Mitteln. Aus dem Vollen schöpfen können dagegen die beiden deutschen Jazzlabels Act von Siggi Loch und vor allem das renommierte Münchner Label ECM von Manfred Eicher. «Wer bei ECM unter Vertrag ist, wird international beachtet. Das ECM-Label kommt einer Adelung gleich», sagt Bürli.

Schweizer Jazzer bei ECM

Doch auch hier sprechen eine ganze Reihe von Schweizer ECM-Künstlerinnen und Künstlern für die Stärke des Schweizer Jazz. Seit 2006 hat Nik Bärtsch mit seiner Band Ronin bereits vier Alben beim Münchner Label produziert. Dazu kommen der welsche Pianist Colin Vallon (Rruga, 2010), die Schweizer Sängerin mit albanischen Wurzeln Elina Duni, die im vergangenen Jahr mit dem Album «Matanë Malit – Beyond the Mountain» eingeschlagen hat, sowie die Sängerin Susanne Abbühl, die seit 2001 bei ECM unter Vertrag ist und Anfang Mai «The Gift», das dritte ECM-Album, veröffentlicht hat. Neu zur ECM-Familie gestossen ist in diesem Jahr auch der Genfer Saxofonist Nicolas Masson mit dem Album «Third Reel». Erfreuliche Aussichten für den Schweizer Jazz.

Sylvie Courvoisier – Mark Feldman Live At Theatre Vidy, Lausanne, Intakt. Erscheint am 17. 5.

Elliott Sharp – Melvin Gibbs – Lucas Niggli Crossing The Waters, Intakt.

Susanne Abbühl The Gift, ECM. Erscheint am 17. 5.

Nicolas Masson Third Reel, ECM.

24. Schaffhauser Jazzfestival
22.–25. Mai. www.jazzfestival.ch

Wer vom Jazz leben will, muss die Landesgrenzen überschreiten.

Weitere Bilder finden Sie online.

Sylvie Courvoisier lebt und spielt in New York. ho

Elina Duni ist bei ECM unter Vertrag. ho

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe vom 14.05.2013.