CDs
Mit eigenem Gesicht
Das Schweizer CD-Label Intak feiert seinen 20. Geburtstag
Daran ist kein Vorbeikommen. Die 3-er-CD-Box „Monk’s Casino“,
eingespielt von Alexander von Schlippenbach und „Die Enttäuschung“
(Uli Jeneßen, dr; Axel Dörner, tp; Rudi Mahall, bcl; Jan
Roder, b) gehört zweifellos zu den faszinierendsten und bleibenden
Produkten des Jazz überhaupt. Verdeutlicht sie doch noch zwingender
sogar als die meisten Monk-Originaleinspielungen, welch markante Kompositionen
Thelonius Monk geschaffen hat, und sie tut dies auf der Basis einer
souveränen, fast rotzfrechen Spielhaltung, die die Achtung vor
dem Vorgefundenen mit dem Willen zu Eigenem verbindet. Nur was ins Morgen
weist, ist wirklich heutig - „Monk’s Casino“ ist hier
ein Meilenstein.
Das Label, das so etwas ermöglichte, heißt Intakt, und –
nomen est omen – Intakt feiert nun einen runden Geburtstag. Anfang
März beging der Labelgründer Patrik Landolt gemeinsam mit
seinen Musiker-Mitstreitern mit einem mehrtägigen Festival in Zürich
den 20. Intakt-Geburtstag.
Angefangen hatte es eigentlich schon 1978, als Landolt, ein junger Philosophie-Student
in Zürich, den damals noch nicht allzu bekannten Gitarristen Fred
Frith in die Schweiz holte, auch Dollar Brand (alias Abdullah Ibrahim)
oder das Vienna Art Orchestra. In den 80er-Jahren begann Patrik Landolt,
mittlerweile Redakteur bei der schweizerischen „Wochen-Zeitung“,
in seiner freien Zeit unter anderem mit Irène Schweizer und Remo
Rau Konzerte in der Roten Fabrik Zürich zu organisieren. Diese
Jazz-Konzertreihe kulminierte 1984 im ersten Taktlos-Festival mit zeitgenössischer
Jazzmusik in Zürich und Bern. Ein Festival, das später auch
einen Partner in Basel fand.
Die erste Intakt-Platte ist ein „Kind“ des Festivals und
erschien 1986. Da sich keine Plattenfirma fand, die die Bänder
mit den Aufnahmen von Irène Schweizer vom ersten Taktlos-Festival
veröffentlichen wollte, musste das Landolt gemeinsam mit seinem
damaligen Partner selbst tun – „Live at Taktlos“ wird
zu einem kleinen Verkaufserfolg. Ohne internationales Vertriebsnetz
gehen in einem Rutsch etwa 2000 Exemplare weg. Das war die eigentliche
Geburtsstunde von Intakt. „Eine Plattenfirma muss ‚intakt‘
sein, seriös und zuverlässig, was die Rechte und die Zusammenarbeit
anbelangt“, erklärt Landolt die Mutation des Festivaltitels
in den Labelnamen.
Das Konzept von Intakt Records: Neue Musik zwischen Jazz-Improvisation
und -Komposition bekannter zu machen und zu fördern. Als Mini-Label,
das in den ersten Jahren in Deutschland keinen Vertrieb findet, erhält
Intakt Records 1988 den wichtigsten deutschen Schallplattenpreis, den
Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik, für die Platte von
Irène Schweizer mit dem Titel „The Storming of the Winter
Palace“ – übrigens damals am Schlagzeug Günter
Baby Sommer. (Mittlerweile hat Intakt Records auch die Aufnahmen von
ersten Konzerten von Irène Schweizer, die erstmals 1977/78 bei
FMP erschienen, neu herausgegeben.) Der Bann war damit gebrochen –
das Taktlos-Festival als wichtige Quelle für das Label-Programm
blieb. Mehr als zehn Intakt-CDs sind Live-Mitschnitte von Taktlos-Konzerten.
Herausragend etwa die CD der Vokalgruppe Five Voices des in Berlin lebenden
amerikanischen Perkussionisten und Sängers David Moss, aufgenommen
zum „Taktlos 1989“. Oder die CD mit einem Taktlos-Mitschnitt
eines experimentellen Trios von Thurston Moore, dem Gitarristen der
New Yorker Noise-Rock-Band Sonic Youth. Nachdem 2004 die Uraufführung
des Stücks „Oort-Entropy“ des Barry Guy New Orchestra
zum Taktlos-Festival stattgefunden hatte, reisten die Musiker nach Baden-Baden
ins Studio des Südwestfunks und nahmen in einer fünftägigen
Arbeit die entsprechende CD auf. „Oort-Entropy“ von Barry
Guy wurde im Dezember 2005 vom französischen Jazzmagazin „Jazzman“
als CD des Jahres geehrt. Überhaupt: Zwischen Barry Guy, der längst
(auch der Liebe wegen) nach Zürich umgesiedelt war, und Intakt
Records entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit. Der Labelkatalog
enthält mittlerweile fünfzehn CDs von Barry Guy mit dem London
Jazz Composers Orchestra oder dem Barry Guy New Orchestra.
Zu Günter Baby Sommer gab es schon frühzeitig Kontakte –
der Dresdner Perkussionist ist auf einigen der frühen Intakt-Platten
vertreten. Fünf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer begann dann
das Schweizer Label eine bis heute dauernde Zusammenarbeit mit dem Zentralquartett,
also mit den vier Persönlichkeiten des ostdeutschen Jazz Conrad
Bauer, Uli Gumpert, Ernst-Ludwig Petrowsky und Günter Baby Sommer.
Resultat: mittlerweile vier Zentralquartett-CDs. Erst kürzlich
ist „11 Songs – aus Teutschen Landen“ erschienen,
die künstlerisch am Stoff der Gumpert’schen „Suite
aus Teutschen Landen“ orientiert ist. Etwas Besonderes ist auch
das Konzept der Intakt-Covergestaltung: Während sich viele andere
Kleinlabels, die sich der Förderung innovativer zeitgenössischer
Improvisationsmusik verschrieben haben, primär – und sicher
aus marketing-strategischen Gründen – an der Dominanz der
jeweiligen Label-Identity orientieren (zum Beispiel HatHut, Winter und
Winter, ECM...), lautet das Motto von Patrik Landolt für die visuelle
Gestaltung der Intakt-CDs: „Jeder CD ihr eigenes Gesicht!“
Deshalb gibt es auch keine schwarze, weiße oder gelbe Reihe bei
Intakt Records. Die Musik jeder CD ist so einzigartig, dass ihre Singularität
auch bei der visuellen Präsentation ausgedrückt werden soll.
Einige hervorragende Grafiker, allesamt ausgewiesene Kenner der Musik,
arbeiten seit vielen Jahren regelmäßig für Intakt Records:
Die ersten Platten und CDs gestaltet Ruedi Wyss, Dozent an der Zürcher
Hochschule für Gestaltung und Kunst sowie Veranstalter des Taktlos
Bern und von Ton Art. Seit vielen Jahren prägt der Zürcher
Grafiker, Jazzkenner und passionierte Konzertbesucher Eugen Bisig das
Erscheinungsbild. In jüngster Zeit bereichert der typografische
Gestalter Jonas Schoder, Mitglied der Zürcher Musikerorganisation
OHR, das Intakt-Design. Viele international bekannte Künstler steuern
Bilder für die Intakt-Cover bei, darunter A.R. Penck, Max Bill,
Peter Frey, Niklaus Troxler und Strawalde.Und so gehört Intakt
seit zwanzig Jahren zu jenen Aktivisten, die öffentlich immer wieder
durch praktisches künstlerisches Tun zeigen, um welches Anspruchsniveau
es in der Musik eigentlich gehen sollte.
Mathias Bäumel, Jazzzeitung, Deutschland, Mai 2006
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