IRENE SCHWEIZER
Rede von Urs Jaeggi,
2. Juni 2006, Akkademie der Künste, Berlin
Zum 65. Geburtstag von Irène Schweizer
Liebe Jubilarin, liebe
Gäste,
Schön, Irène Schweizer, daß Sie hier feiern, mit uns.
Ich habe ihre Musik auf Plattten gehört,
später im Konzert und jetzt im Film, der „Irène Schweizer“
heißt. Der Film zieht einen
spannenden biographischen Bogen, manchmal, dachte ich, etwas schweizerisch
brav -
Was SIE nicht sind.
Ich hätte gern ihre Wut und Aufruhr, die in ihrem Tönemachen
steckt, etwas deutlicher gesehen. Aber es ist ja wahr: Wir Schweizer zügeln
unser Auftreten im Alltag, und Extremes hat wenig Chancen.
In der Kunst ist das allerdings anders. Ich denke an Friedrich Dürrenmatt,
der genial größte und gröbste Zertrümmerer von Gemütlichkeiten
und Scheinrealitäten. Oder, in der Kunst, Bernhard Luginbühl
oder Dieter Rot, ebenfalls große Ausräumer, Aufräumer
und Austeiler. (Dazu, - die Paranthese ist notwendig -: es gibt interessanterweise
bei uns ebenso geniale Untertreiber wie Robert Walser oder Augusto Giacometti.
Schon fast Heilige.
Liebe Gäste, Sie haben gemerkt: ich nenne keine Frau und keinen Musiker.
Es gibt sie, natürlich.
In der Musik, so sehe ich es, kommen die großen Empörer und
Neutöner aus dem Jazz. Notgeboren. Aus der Unterdrückung, dem
Protest dagegen. Aber eben auch mit überbordender Fantasie.
Die Jazzliebhaber, nicht nur in Europa, aber hier betont, bildeten lange,
als der Kommerz die Protagonisten schon scharenweise auffraß, eine
verschworene Gemeinde. Jazz ist Jazz, dachten sie. Die Revolte gegen die
sich einstellende Gemütlichkeit, die mit dem nervigen, explodierenden
Bepob so richtig losging. Musikalisch. Und, politisch, als Anklage und
Protest. Als Aufruhr. Und mit dabei eine Schweizerin, eine Frau, die ein
Instrument gewählt hat, wählten mußte, (nicht unter äußerem
Druck, unter innerem) das fürs Rhytmische und Lyrische prädestiniert
ist.
Irène Schweizer fing an zu experimentieren, parallel zu den Saxophons,
Posaunen und Trompeten, die das Laute im Körper haben. Das Verschleifen,
bis ins vokalähnliiche, geräuschähnliche. Neu betönen,
aufbrechen, aufbegehren. zertrümmern und fügen.
Nichts Swingendes, das einfach in die Beine geht, keine blues, in die
man hineinfallen kann. Wenn Lyrisches, dann neulyrisch, mit Disonanzen,
Verwerfungen, Brüchen, Kratzern, Schlägen. Nahe am batteur,
am Schlagzeug,
zerhacken, zerwirbeln, zermalmen, zerfetzen, zerstümmeln
Schräges. Urlaute, Tierlaute,
alles.
Irène Schweizers Hände, Finger, ihre Ohren, Hirn (sie sagt
Bauch) betreiben im Konzert rastlos das Finden und Suchen, Suchen und
Finden. Frei, Freejazz.
Improvisiertes. Nichts Festgeschriebenes, Vernotetes, Einsperrendes, vielmehr:
Unmögliches, Erspieltes, Weguferndes. Verschwindendes
Neue Räume erkämpfen und ausloten.
Mi hätt dr Jazz innegno. (Schwer zu übersetzen: er
hat sie vereinnahmt, oder um es ähnlich drastisch, wenn auch nicht
so schön zu sagen: mit Haut und Haar. Obsessiv.
Irène Schweizer hämmert schlägt schwingt reißt
bricht fließt hüpft stockt stottert quitscht streichelt ihr
Instrument
haut haut
haut
ghaue gestoche
ghaue
hau ha ha
gschtoche stoch stoch stich
stochern stacheln
wüten
e Lärm, lärme Lärm
weit weit wie weiter wie wie
wie wie wie weit
und schtüi Stille
Krach und Nichts.
Aufbrechen abbrechen
Ich sagte, weil es so ist, Politisches ist mit im
Spiel, aber wie es so ist mit der Kunst: Es geht um Fremderes, Ferneres,
Verworrernes und Klareres.
vieltönig und
monoton
Überhitztes, Jagendes, Dissonantes. Lautes und Leises Zögerndes
und Verzögerndes,
Auswege erzwingen, Auswege umtänzeln ertasten. überrollen nachhinken,
vorhinken greifen und loslassen, blitzen krachen
Quirlendes, Plätscherndes, Aufbäumendes und Verschwindendes.
raffiniert elementar,
raffiniert
furios
und Stille.
Töne und Leere.
einsam
Einsam, zusammen mit andern,
frei.
Keine Grenzen, aus-
weglos, wieder und
wieder.
Geräusche und Stille.
Ihr, der Herumgetriebenen und Herumtreiberin will mein Gestottere
will danken dank da dada da da da du da.
Ich danke,
danke
herzlich
Urs Jaeggi
To
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