


265: FLORIAN EGLI – WEIRD BEARD. Everything Moves
Intakt Recording #265/ 2016
Florian Egli: Saxophone
Dave Gisler: Guitar
Martina Berther: E-Bass
Rico Baumann: Drums
Recorded in June 2014 at Studio Black Box, Noyant la Gravoyere, France.
More Info
Saxophoneophonist Florian Egli presents with his band 'Weird Beard' his debut on Intakt Records. Deeply rooted in the jazz tradition Weird Beard creates with stylistic openness an independent and characterful music in the undogmatic field of contemporary jazz. Everything Moves is a characterful album with a strong pulling power and manages to combine lyrical passages with the unpredictable.
“Instead the music of Weird Beard exudes the breadth and laconic calm of a north-European landscape with a nimbus of melancholy floating above it, where we are lulled blissfully by warm melodies and sensuous phrases. By turns elegiac, then upbeat again, sometimes so soft it becomes fragile, then explosively loud, Weird Beard’s musical cosmos encompasses every possible shade”, writes Florian Keller in the Liner Notes.
Album Credits
Cover art: Mary Anne Imhof
Graphic design: Jonas Schoder
Liner notes: Florian Keller
Photo: Ralph Kühne
All compositions by Florian Egli (SUISA). Recorded in June 2014 at Studio Black Box, Noyant la Gravoyere, France, by David Odlum. Mixed by David Odlum. Mastered by Golden Mastering.
チューリッヒ若手サックス奏
者フロリアン・エグリ率いる
カルテット「ウィヤード・ベヤ
ード」の第2作目(インタクト
移籍1作目)。壊れそうな繊
✓ 細なサウンドを官能的なフレ
ージングで描いた本作は、バンドサウンドと彼の評価をさらに
前進させた。ギターのデイブ・ギスラーを含め今後要注目の
バンドです。
Schweizer Jazzmusiker geniessen im Ausland einen exzellenten Ruf. Das wurde auch an der Jazzahead! in Bremen, der grössten Jazzmesse der Welt, deutlich, wo sich die Schweiz im letzten Frühling mit ausgewählten Musikern präsentieren durfte. Einige der Musiker, die in Bremen gefeiert wurden, haben auch das Jahr 2016 im Jazzland Schweiz geprägt: Allen voran Christoph Irnigers Pilgrim, der mit seiner Band die hohe Kunst der Interaktion zelebriert. Andere Musiker wie Florian Egli Weird Beard, Nik Bärtsch oder Christoph Merki Music.01 haben einen ganz eigenen Bandsound geschaffen. Florian Favre, Ste- fan Aeby und Yves Theiler bestätigen die hohe Qualität von Schweizer Piano-Trios. Besonders erfreulich ist aber, dass mit Sarah Chaksad und Corinne Huber auch zwei Frauen als Bandleaderinnen von sich reden machen.
Florian Egli a une drôle de barbe. Florian Egli, tout jeune saxophoniste, a plu à Irène Scwheizer, Bugge Wesseltoft, Elina Duni, et cela indique un brin des esthétiques (le fameux modern jazz mâtiné de rock prog, électro, punk que porte à bout de bras dans Everything Moves Dave Gisler à la guitare) mais aussi un certain talent.
Le quartet du saxophoniste représente avec une certaine solennité une musique de mode sur les scènes germaniques, allemandes comme suisses, qui touillent dans le même brouet ces influences majeures où l'on retrouve dans une formule très écrite un minimalisme fort maîtrisé confronté à des accès déstructurés hardcore à coup de groove binaire et de riffs distendus d'accords pentatoniques à la guitare, le tout tenu par le fil d'archal d'une attention constante et raffinée à la mélodie. A ce titre, ''Old Places'' se situerait quelque part entre le manifeste et l'exercice de style, et ballade l'auditeur au gré de cette polyvalence du vocabulaire et des esthétiques du quartet.
L'album frappe d'abord par la qualité lyrique du saxophoniste et leader, qu'on aimerait parfois entendre plus hors des clous, mais qui n'a de cesse de briller au cours de ces huit titres où il tire souvent la couverture de l'expression individuelle à lui. Le reste de la formation – qui traduit à elle seule le tropisme rock du groupe : guitare, basse (Martina berther) et batterie (Rico Baumann) – s'intègre à merveille dans une sonorité collective léchée et versatile qu'elle magnifie autant dans l'épure aux confins du bruitisme guiorant que dans l'éclat orchestral d'un son si lourd.
Egli (et glo et glu) et sa drôle de barbe séduisent en emportant rarement par la sagesse maîtrisée d'une musique qui intéressera en priorité ceux qui considèrent que Tim Berne, Marc Ducret et d'une certaine manière un bon bout du catalogue ECM constituent les pionniers et seuls hérauts de la modernité musicale des trente dernières années. Dans leurs pas mais avec son identité propre, le Weird Beard de Florian Egli a déjà son mot à dire, dans un format intelligemment court de 40 minutes, et laisse entendre des promesses qu'on ne demande qu'à entendre confirmées pour la suite de cette si jeune carrière. Sans nul doute, Egli s'englugliglolera.
http://www.djamlarevue.com/blog/2016/7/3/florian-egli-weird-beard-everything-moves?rq=intakt
Saxophon im Klangnebel
Die Schweizer Indie-Jazz-Formation Weird Beard entwirft einen Cool Jazz fürs digitale Zeitalter.
Epochale Stilumbrüche stehen heute im Jazz kaum mehr auf der Tagesordnung. Das radikal-innovative Potenzial der einstigen „Fire Music" scheint aufgebraucht. Die Revolution ist der Evolution gewichen. Heute ist es eher die kreative Kombination bekannter Elemente urd Formen, aus der junge Musiker und Musikerinnen Funken schlagen, wobei in den digitalen Sounds noch zahllose ungenutzte Möglichkeiten schlummern. Neuerungen kommen auf leisen Sohlen daher und gehen subtil vonstatten. Behutsamer Umbau statt Totalumwälzung heißt das Gebot der Stunde. Everything Moves hat die Schweizer Formation Weird Beard ihr zweites Aloum genannt, was keine schlechte Zustandsbeschreibung der aktuellen Situation ist.
Weird Beard bewegen sich geschickt in dieser neuen Jazzgegenwart. Bandleader Florian Egli, der alle Kompositionen schreibt und Altsaxofon spielt, wirft einen frischen Blick aut vergangene Epochen, kloptt. sie nach brauchbaren Ideen ab, die dann mit Bausteinen aus Indie-Rock. Minimal Music oder Elektronik vermischt werden. „Eigentlich komme ich aus der klassischen Musik", räumt Egli ein, was fast wie eine Entschuldigung klingt. „Deshalb sind mir Form, Entwicklung, Harmonik und Kontrapunkt als kompositorische Elemente wichtig. Wenn ich ein neues Stück entworfen habe, bringe ich es in ausgedünnter Form in den Proberaum, wo es eine moderne Gestalt erhält. Ich akzeptiere, dass eine Nummer am Ende anders klingt, als ich mir das ursprünglich vorgestellt habe, nämlich viel besser, weil meine Mitmusiker Experten auf ihren Instrumenten sind und Ideen einbringen, von denen ich nicht einmal geträumt hätte. Man muss ihnen nur die nötige Freiheit geben, und schon brüten sie die fantastischsten Sounds und Grooves aus."
Florian Egli pflegt einen gedämpften Saxofonton, wie er im Cool Jazz der 1950er kultiviert wurde und der immer auch das Atemgeräusch einbezog. Doch sind seine Einflüsse breiter gestreut. „Ich habe vor zwei Jahren eine CD namens Bird eingespielt in Bebop-Manier - eine Hommage an Charlie Parker. Cannonball Adderley fand ich schon immer cool, aber am stärksten in den Bann zogen mich die Westcoast-Saxofonisten: Paul Desmond, Lee Konitz und vor allem Warne Marsh", umreißt Egli die Bandbreite an Vorbildern. „Doch bedeuten diese Einflüsse gar nichts in Bezug auf Weird Beard.
Ausschlaggebend war, dass die Westcoast-Spielweise optimal in unser Konzept passte. Nur deshalb spiele ich, cool'! Unser moderner Sound samt Elektronik verlangt geradezu nach diesen schwebenden abgeklärten Saxofontönen."
Eglis gehauchte Melodien sehen sich von Gitarrist Dave Gisler in Texturen aus schillernden Akkorden gehüllt, die mit Halleffekten noch verfremdet werden. Martina Berther sorgt mit wuchtigen Bassläufen für Dampf und steuert zusätzliche elektronische Sounds bei - immer fein dosiert. „Die Gegenwart steht im Zeichen der Elektronik, weshalb es keinen Sinn macht, auf diese Möglichkeiten zu verzichten", erklärt Bandleader Egli. „Wir haben viel experimentiert, bis wir zu dem Schluss gekommen sind, die Elektronik dezent einzusetzen. Dave Gisler produziert diese Collagen, speist Fremdeinspielungen ein und erzeugt synthetische Sounds mit Ringmodulatoren. Und Martina Berther hat noch mehr von diesen Klängen in petto. Letztlich geht es um Farben, um eine reichhaltigere Palette, nicht um Effekthascherei. Ich habe zuerst auch mein Saxofon elektrifiziert und über Effektgeräte gespielt, aber dann haben wir bemerkt, dass der gehauchte Saxofonton einen viel reizvolleren Kontrast zur bunt schillernden Elektronik darstellt."
Für die Grooves ist Schlagzeuger Rico Baumann zuständig, den Egli schon kannte, bevor es Weird Beard überhaupt gab. Als der Saxofonist die Gruppe dann 2007 aus der Taufe hob, um an der Musikhochschule Zürich sein Master-Abschlusskonzert zu bestreiten, war klar, dass Baumann hinter den Trommeln sitzen würde. Die Rhythmen, die er entwirft, klingen oft nach Indie-Rock, folgen aber keinem gängigen Schema. „Creative Grooves" nennt Baumann seine Herangehensweise, die versucht, nicht statisch immer wieder die gleichen Schlagmuster zu reproduzieren, sondern bei jedem Stück jedes Mal wieder einen etwas anderen Rhythmus zu (er)finden.
Gelegentlich erzeugen Weird Beard fast lyrische Stimmungen, schwelgen in romantischen Klangträumereien. Doch nicht lange, und schon geht es wieder handfester zur Sache. Dann greifen die Musiker abermals mächtig in die Saiten und treten in ihre Soundpedale
bis Splitterklänge und verzerrte Sounds das Feld bestimmen. Ein kompakter Beat kombiniert mit einem treibenden Bass sorgt mächtig für Drive, über dem sich ein röhrendes Saxofon erhebt. Egli kann auch Brötzmann! Von Cool Jazz über Rock Jazz zu Free Jazz, von Pop über Ambient zu Indie - bei Weird Beard ist alles in Bewegung. Everything Moves!
Everything Moves a été enregistré au studio Black Box, haut lieu de la scène rock alternative en France (de Shellac à The Ex). Choix délibéré ou inspiration du lieu, ce quartet dirigé par le saxophoniste suisse Florian Egli installe avec la plus grande attention des climats qui s’apparentent autant à la pop qu’au jazz stricto sensu. Avec un soin méticuleux apporté à chaque détail, on se trouve face à une synthèse entre deux mondes qui, par certains côtés, évoque des ambiances mélancoliques à la Bill Frisell avec un peu plus de dynamique mais moins d’intériorité. Néanmoins si l’ensemble est appliqué, rien ne déborde justement et cette musique qui mériterait un lyrisme plus extraverti finit par ennuyer. Les quelques passages énervés de la guitare électrique ne suffisent pas à sauver l’ensemble.
https://www.citizenjazz.com/Florian-Egli-Weird-Beard.html
Voici le premier disque Intakt du groupe Weird Beard dirigé par le saxophoniste alto Florian Egli déjà entendu auprès de Jürg Wickihalder : quatre jeunes musiciens dont Dave Gisler (el.bass) qu’on retrouve également avec Christoph Irniger (voir ci-dessous). Le leader a composé les huit pièces de ce disque enregistré en France à Noyant La Gravoyère (49) par David Odlum, qui est peu le cinquième homme du groupe, compte tenu du gros travail sur le son d’ensemble. Un jazz « actuel » joué par des musiciens qui ont été élevés au rock, et qui savent en sortir.
https://www.culturejazz.fr/spip.php?article3004
Epochale Stilumbrüche sind im Jazz von heute passé. Das radikal-innovative Poten zial der einstigen «Fire Music» scheint aufgebraucht. In diesen Zeiten ist es eher die kreative Kombination bekannter Elemente und Formen, aus der junge MusikerInnen Funken schlagen, wobei in den neuen digitalen Sounds noch zahllose ungenutzte Möglichkeiten schlummern.
Neuerungen kommen auf leisen Sohlen daher und gehen subtil vonstatten. Behutsmer Umbau statt Totalumwälzung heisst das Gebot der Stunde. «Everything Moves>>> hat die Schweizer Formation Weird Beard ihr zweites Album genannt, was keine schlechte Zustandsbeschreibung der aktuellen Situation ist.
Der Zürcher Bandleader Florian Egli bewegt sich geschickt in dieser neuen Jazzwelt. Er wirft einen frischen Blick auf vergangene Epochen, klopft sie nach brauchbaren Ideen ab, die dann mit Bausteinen aus Pop, Rock, Minimal Music oder Elektronik vermischt werden. Egli pflegt einen gedämpften Saxofonton, wie er im Cool Jazz der fünfziger Jahre kultiviert wurde und der immer auch das Atemgeräusch einbezog. Seine gehauchten Melodien werden von Dave Gisler an der E-Gitarre und der Bassgitarristin Martina Berther in ein Klanggewebe aus schillernden Akkorden und wummernden Bassläufen eingebunden, die mit Halleffekten noch verfremdet werden. Dazu liefert Schlagzeuger Rico Baumann entspannte Grooves, die nicht den gängigen Mustern folgen.
Gelegentlich werden lyrisch-verträumte Stimmungen heraufbeschworen, was dann fast schon etwas zu schön und beschaulich klingt. Doch nicht lange, und schon geht es wieder handfester zur Sache. Dann greifen die MusikerInnen in die Saiten und treten in die Soundpedale, bis Splitterklänge und verzerrte Sounds das Feld bestimmen. Ein wuchtiger Beat sorgt für mächtigen Drive, über den sich ein röhrendes Saxofon erhebt. Von Cool Jazz über Rock Jazz zu Free Jazz, von Pop über Ambient zu Indie - everything moves!
Nichts scheint so vielstimmig wie die Musik. Und doch hat ihr die menschliche Sprache das eine oder andere voraus. Gibt es in der Musik schillernde Ambiguität à la Ironie? Musik mag bisweilen ja fröhlich sein und sich in übertreibender Nachahmung lustig machen über dies und das. Aber wo Sprache mit Zweideutigkeit ironisiert, landet die Klangkunst oft im Klamauk.
Für Weird Beard, das Quartett des Zürcher Saxofonisten Florian Egli, gilt das allerdings nicht. Das neue Album «Everything Moves» zeigt einerseits, dass Egli wie viele musizierende Zeitgenossen auf vielfarbige Crossover- Varianten zwischen Pop, Punk und Jazz setzt. Dabei profiliert sich seine Formation - Dave Gisler an der Gitarre, Martina Berther am E-Bass, Rico Baumann am Schlagzeug - aber durch eine ausgeprägte Sensibilität für Schattierungen und Doppelbödigkeit. Das deutet schon der Bandname an, ebenso der Titel des Openers «The Meaning Of Meaning» - und erst recht das Musikstück selbst.
Während die Rhythm-Section durch einen lakonisch-lockeren Groove hüpft, setzt das Saxofon eine melancholische Note in die Welt, die von der Gitarre gar ins Pathos übersteigert wird. Eine eigenartige, aber fesselnde Kombinatorik. Sehr unterschiedliche Ausdrucksmittel fliessen zusammen, ohne dass man einzelne Strömungen benennen könnte. Oder doch? Stammt das Federnde im Beat aus dem Pop, das Pathetische der Melodie aus dem Rock und die Lakonie vielleicht aus dem Punk?
Wichtiger ist, dass die Polystilistik hier nicht nur Kontraste und Überraschungen ermöglicht, sondern auch ein Justieren und Differenzieren des Tonfalls. Und so scheint die eine Stimme bisweilen tatsächlich auf eine sanft ironische Art den Mood der andern zu relativieren. Die Instrumente reagieren nicht nur dialogisch, sie färben gewissermassen aufeinander ab. Die einzelnen in Tempo und Klangfarben variantenreichen Stücke basieren weniger auf expressiver Kür als auf Arrangements, die wie in Pop-Produktionen Lead- Stimme und Begleit-Motive eng aneinander binden. Dennoch können sich die Mitglieder von Weird Beard auch individuell in Szene setzten: Egli färbt den Raum mit Melancholie, Gisler sorgt für Brüche, Berther schiebt alles Biedere aus dem Weg, und Baumann überzeugt durch pointierte Rhythmik.
Diverse Orte, Langnau
Eine neue Note verpasst
Die Band Weird Beard um Saxofonist Florian Egli und den Berner Schlagzeuger Rico Baumann wirbelt an den Langnau Jazz Nights altehrwürdigen Staub auf.
Da überschlagen sie sich glatt, die Musikkritikerinnen und Musikkritiker, wenn sie über Weird Beard schreiben: «Das grenzte ans Aussergewöhnliche und Wunderbare», schreibt eine Zeitung und im Jurybericht der ZKB für den Jazzpreis 2014 steht schlicht «Grossartig!». Da haben sich vier mit Auszeichnungen gekürte und bereits in vielen Formationen gefeierte Musiker und eine Musikerin (Martina Berther am Bass) zusammengeschlossen, um als Weird Beard dem Jazz eine neue Note zu verleihen.
Wie die klingt? Aufregend, dank einer angezerrten elektrischen Gitarre (Dave Gisler), gefährlich, dank dem ungefälligen Saxofonspiel von Florian Egli, und wenn der Berner Rico Baumann (bekannt von True und Le Rex) am Schlagzeug sitzt, kann eigentlich nicht viel schief gehen.
https://www.bka.ch/sounds/rubriken/sounds/eine-neue-note-verpasst
Die Jazztradition unter dem Mikroskop
Hat das Saxofon überhaupt noch etwas zu sagen? Ja, wie die beiden Zürcher Musiker Florian Egli und Tobias Meier auf ihren neuen Platten zeigen.Hunderttausendfach erprobt ist das Saxofon im Jazz. Hat es ausgespielt? Sehr schnell ist man als Saxofonist jedenfalls auf «bewährten Bahnen», hakt Licks der Altmeister ab, stellt sich als kleiner Zwerg auf die Schultern der Riesen. Und doch tauchen zuverlässig immer wieder Saxofonspieler auf, die ihrem Instrument einen neuen Dreh abhorchen. Jazz komme auch ohne Revolutionen und ohne neuen Messias weiter, schrieb der New Yorker Jazzkritiker Ben Ratliff: «Man akzeptiert, dass er sich langsam, aber stetig weiterentwickelt. Neue Strukturen und neue Genres sind nicht unbedingt das, wonach wir suchen. Uns geht es um den individuellen Ausdruck des Musikers.»
Genau so kann man auch die Arbeiten zweier Zürcher Altsaxofonisten begreifen: Florian Egli und Tobias Meier stehen beide in ihren Dreissigern. Egli, 1982 geboren, kultiviert auf seinem neuen Album «Everything Moves» einen zumeist flüsternden Saxofonklang, den er als Teil eines Bandsounds sieht und den er im Kontext eines eigenwilligen Quartetts präsentiert. Die oft verzerrte E-Gitarre von Dave Gisler, der E-Bass von Martina Berther und das meist binär und also nicht swingend gespielte Schlagzeug von Rico Baumann prägen die Musik. Man hört hier Passagen, die man als Minimal Rock bezeichnen könnte, und das Intro zu «The Meaning of Meaning» könnte glatt von den einstigen Minimal-****rockern Can stammen.
Hall aus dem Studio
Daneben gibt es filigrane Trash-Rock-Studien wie in «No Man On», und selbst über punk-rockige Passagen stülpt Florian Egli das Saxofon mit seiner geschmeidig-lyrischen Färbung. Mag sein, dass er dabei auch mal verloren wirkt. Immer aber klingt diese Musik eigen; gerade auch dann, wenn seine Band ihm einen fein gehäkelten Teppich unterlegt oder wenn elektronische Soundscapes einer ambientalen E-Gitarre erklingen. Was Eglis Saxofon neben solchen frischen Kontextualisierungen ebenfalls von der Herkömmlichkeit wegführt: Er scheut sich nicht, konventionellen Jazz zu transzendieren, indem er die Studiomöglichkeiten nutzt: «P'S Mood» etwa zeigt ihn mit einem fein ziselierten, in weite elektronische Hallräume getauchten Klang.
Auch Tobias Meier lässt zunächst einmal nicht an Jazz denken, hört man sein Saxofon in den 18 Minuten der ersten zwei Tracks auf dem Kurzalbum «Interesting»: «Nine Microscopic Thoughts», diese neun zusammenhängenden «moments musicaux», beginnen mit einer herrlichen Overdub-Studie: Etliche Saxofone hat Meier im Studio übereinandergeschichtet – zu einer Art Minimal-Knäuel aus statischen Achteln. Eine andere technische Möglichkeit reizt Meier aus, indem er das Saxofon extrem mikrofoniert: Klappen- und Obertoneffekte musizieren so mit, Meier macht ein normalerweise unhörbares Saxofon plötzlich hörbar.
Studie in Minimal
Und wie bei Egli spielen Kontextualisierungen mit: Drei Streichinstrumente – Cello, Viola, Kontrabass – lassen die Codes der zeitgenössischen Klassik aufblitzen. Ein andermal arbeiten die «mikroskopischen Gedanken» mit Saxofonschichtungen, die in ihren aufglimmenden und wieder verlöschenden Farben an die Klangflächenkompositionen von György Ligeti erinnern. Schliesslich folgt ein Track mit einem pur akustischen Solosaxofon – eine minutenlange Minimal-Studie. Wie ein Wissenschaftler führt Tobias Meier hier seine strengste Kontrolle über das Material vor – das ist Galaxien entfernt von einer herkömmlichen Jazzsprache.
Dass Meier die allerdings auch beherrscht, und zwar bemerkenswert gut, dass sie vielleicht sogar seine Basis bildet: Das zeigt er auf «Live at Bird's Eye Basel», einem Trioalbum mit dem Kontrabassisten Gene Perla und dem Schlagzeuger Christian Windfeld. In zwei eigenen Stücken und guten alten Jazzklassikern wie Cole Porters «You'd Be So Nice to Come Home To» entfaltet Meier eine Saxofonsprache, die über die Jazztradition von Bop über Cool bis Free und Experiment bestens Bescheid weiss. Doch der Saxofonist wirkt auch hier frisch und gegenwärtig. Man merkt: Auch in scheinbar alten Jazz-Zusammenhängen ist auf dem Saxofon immer wieder ein letztes, nächstes Wort möglich.
https://www.tagesanzeiger.ch/die-jazztradition-unter-dem-mikroskop-47997427771