Subject: Artikel NZZaS
From: "Papst Manfred"
Date: Mon, 27 Sep 2010 07:55:07 +0200
To: "Patrik Landolt"

NZZ am Sonntag26.09.2010 Seite  73167 ZeilenNZZS.KU.ku

Zukunftsmusik aus Zürich

Das Jazz-Label Intakt Records zählt zu den weltweit besten Adressen für neue Klänge. Jetzt wird es 25 Jahre alt. Zeit für ein Gespräch mit Patrik Landolt, seinem Gründer und Geschäftsführer. Von Manfred Papst

CD-Stapel, wohin man blickt. Das Büro von Intakt Records im Zürcher Kulturzentrum Binz 39 dient gleichzeitig als Auslieferungslager. Zwar bietet das Label einen wachsenden Teil seiner Produkte auch zum Herunterladen im Internet an. Doch die meisten Musikenthusiasten ziehen Tonträger vor, die sie in der Hand halten und in deren Booklets sie blättern können. Nur etwa 1 Prozent des Umsatzes wird mit Downloads erzielt. Es riecht nach Karton, das braune Klebeband macht ratsch, sooft eine Bestellung rausgeht.

Dass Patrik Landolt einmal eine Firma für Tonträger leiten würde, hätte er sich als junger Mensch nicht träumen lassen. Für Musik begeisterte sich der 1956 geborene Flawiler, der in Immensee die Internatsschule besuchte, bevor er in Zürich Philosophie und Geschichte studierte, aber schon früh: Er erhielt Schlagzeug- und Klavierunterricht, sein älterer Bruder Albert gründete die Jazzschule St. Gallen.

«Als Halbwüchsiger», erinnert sich Landolt, «hörte ich mit roten Ohren Jazzrock und Fusion. Den Miles Davis von <Bitches Brew>, Bands wie King Crimson, Gentle Giant, Colosseum.» Bald zog es ihn jedoch sowohl zu freieren als auch zu komplexeren Formen. Alles Revolutionäre, Gewagte, im Wortsinn Unerhörte interessierte ihn. Deshalb war er auch immer offen für elektronische Klänge. Und deshalb begann er schon als 22-Jähriger Konzerte zu organisieren. Holte den Neutöner Fred Frith nach Thalwil, lange bevor der Kult war. Abdullah Ibrahim. Das Vienna Art Orchestra. Wen noch alles.

Beginn mit Irène Schweizer

Es waren bewegte Jahre - auch in politischer Hinsicht. «Ich bin ja kein wirklicher Achtundsechziger», erinnert sich Landolt, «und für die achtziger Bewegung war ich zu alt.» Doch sein Herz schlug links. 1980 zählte er zu den Gründern der «Wochenzeitung», der er 24 Jahre lang als Kulturredaktor treu blieb. Daneben aber organisierte er weiterhin Konzerte. 1982 rief er mit der Pianistin Irène Schweizer und dem «WOZ»-Kollegen Fredi Bosshard die Reihe Fabrikjazz ins Leben, 1984 das Taktlos-Festival. Dass zwei Jahre später das Label Intakt entstand, war eher Zufall. «Wir hatten herrliche Live-Mitschnitte von Irène, die damals im Schallplattenmarkt völlig untervertreten war», erzählt Landolt, «und wir boten sie überall an. Aber niemand wollte sie haben. Ja nu, sagte ich mir, machen wir es halt selber. Aber wir dachten an zwei, drei Platten, nicht an mehr.»

«Irène at Taktlos» wurde die erste Intakt-LP, und bei 8 der ersten 10 Produktionen war sie dabei. Damals erschienen ihre bahnbrechenden Duo-Aufnahmen mit den Schlagzeugern Han Bennink, Louis Moholo, Günter Sommer, Andrew Cyrille, Pierre Favre.

Die ersten 12 Intakt-Produktionen wurden noch auf Vinyl gepresst. Dann kam die Umstellung auf CD. 183 Tonträger hat das Label bis heute publiziert, 181 sind lieferbar - ein eindrücklicher Beweis für die Konstanz von Landolts Arbeit.

Diese fand jedoch lange Jahre nur nachts und an den Wochenenden statt, aus Idealismus, ohne Entlöhnung. Einnahmen wurden sofort wieder investiert. Nur ganz allmählich wurde aus dem Hobby eine Teilzeitstelle, und erst 2004 entschloss sich Landolt, seinen Job als Redaktor an den Nagel zu hängen und sich ganz der Musikproduktion zu widmen. Heute arbeitet er mit seinem kleinen Team als Programmleiter und Geschäftsführer eines nicht profitorientierten Vereins, dem zahlreiche Musiker angehören und in dessen Vorstand neben ihm Irène Schweizer, der Drummer Lucas Niggli sowie Landolts Lebensgefährtin Rosmarie A. Meier sitzen. Zweck von Intakt ist die Herausgabe innovativer Musik in sorgfältigen Editionen. Programmschwerpunkte sind einerseits die freie Schweizer Szene, andererseits die globale Avantgarde. Das Spektrum reicht von Cecil Taylor und Fred Frith bis zu Sylvie Courvoisier und Elliott Sharp, von Irène Schweizer und Pierre Favre bis zu Koch-Schütz-Studer, Omri Ziegele und Tommy Meier. Landolt legt Wert darauf, in guten Studios und mit renommierten Tonmeistern wie Martin Pearson zu arbeiten, unter den Gestaltern der Covers entdeckt man Namen wie Max Bill, Fischli & Weiss und Pipilotti Rist. Landolt selbst reist viel, ist oft im Studio präsent, überlässt von der Auswahl der Stücke bis zur Klangmischung nichts dem Zufall.

Qualität statt Quantität

Dass bei alledem die Auflagen mit 1000 bis 4000 Stück pro CD (Rekordhalter ist «Monk's Casino» mit 7000 verkauften Exemplaren) nicht in den Himmel wachsen, kümmert Landolt wenig. Sein Ehrgeiz ist es, derjenigen Musik, die er selbst hören möchte, zu einem angemessenen Auftritt zu verhelfen. Dazu braucht es neben Intuition und Sachkenntnis jede Menge «Nifeliarbet». Und tatsächlich: Landolt ist ein origineller, anarchischer Kopf, hat aber zugleich etwas von einem Uhrmacher.

In die Jeremiaden über den Niedergang der Tonträgerindustrie mag er nicht einstimmen. «Zwar braucht es für den Jazz wie für alle minoritären Kultursparten eine Förderung durch die öffentliche Hand und auch neue Formen des Mäzenatentums, aber langfristig lohnen sich diese Investitionen. Qualität wird immer unentbehrlich sein. Zudem ist für die Musiker die CD als Visitenkarte enorm wichtig. Ohne aktuelles Album bekommt man kaum Gelegenheiten zum Auftritt.»

Der Intakt-Kundenstamm ist klein, aber verlässlich: Rund 500 Musikfans beziehen mindestens 6 CD pro Jahr im Abonnement. Und sie bilden nicht nur eine virtuelle Gemeinschaft: Sie treffen sich an Konzerten, tauschen sich aus, pflegen ein intelligentes geselliges Leben. «Darum geht es doch», sagt Patrik Landolt: «Kultur ist immer etwas, das sich mitteilen möchte und das man teilt. Und Jazz vor allem!»

Als er noch Journalist war, schätzte Landolt an seinem Beruf besonders die Möglichkeit, Künstler kennenzulernen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, Einblick in den kreativen Prozess zu gewinnen. Nun kann er diesen Prozess sogar fördern und seine Musiker in eine bestimmte Richtung lenken. Nicht als grosser «Plattenboss», sondern als kluger, neugieriger Partner.

Er hat sein CD-Lager gleich im Büro: Patrik Landolt, Leiter des Zürcher Jazz-Labels Intakt Records. (Zürich, 22. 9. 2010)

Ausgiebige Feier

Zu seinem 25-Jahr-Jubiläum veranstaltet das Label Intakt zahlreiche Konzerte. Den Auftakt bildet ein Festival im Zürcher Jazzklub Moods am 2./3. 10. mit Auftritten von Aki Takase, Jürg Wickihalder, Alexander von Schlippenbach und vielen anderen. Im Frühjahr 2011 wird im Klub «Porgy & Bess» in Wien gefeiert, im März 2012 sodann geschlagene 14 Tage lang in John Zorns bekanntem New Yorker Klub «Stone». (pap.)



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