Verehrte Ingrid
Laubrock,
liebe Jazzfreunde,
„Ich gebe es zu. Ich schlafe oft ein bei Konzerten, besonders
bei Konzerten von meinen Freunden, und am besten schlafe ich, wenn ich
in einem bequemen Sessel in einem warmen, dunklen Raum sitze. Ich sage
immer, daß ich nur einschlafe, wenn es gute Musik ist, aber wie
kann ich das wissen, da ich ja schlafe?“
Mit diesem frechen – und bei näherer Betrachtung sehr raffinierten
Satz macht das Booklet auf zu der CD „Sleepthief“ –
„Schlafräuber“, eine Veröffentlichung von Ingrid
Laubrock zusammen mit ihren Partnern Liam Noble und Tom Rainey, die
den Anlaß bildet, weshalb wir uns heute hier treffen.
Ja, wie kann ich wissen, daß es gute Musik ist, da ich ja schlafe?
Wissen kann ich es wohl nicht, aber doch wahrnehmen, denn Wissen ist
nur eine Form von Wahrnehmung, mächtiger aber ist sicher das, was
wir unbewußt wahrnehmen.
Das Unbewußte ist , fast trivial klingt diese Anmerkung, ein mächtiger
Motor, lebensbestimmend nicht nur für jeden von uns, sondern Inspirationsquelle
Nummer eins für jeden kreativen Menschen.
Ingrid Laubrocks Draht zu dieser bei ihr derzeit heftig sprudelnden
Quelle ist direkt und ungestört .
Sie schöpft daraus originäre Inspiration zu einer Musiksprache,
die unverkennbar persönlich ist, so persönlich, wie das heute
im improvisierten Jazz kaum mehr vorkommt.
Harry Lachner,
Ihnen allen wohlbekannt als Autor unzähliger Jazzsendungen und
Mitglied der Jury, sagt:
„Wann konnte man in den letzten Jahren einer so blendend neuen
Stimme begegnen; einer so präzise kultivierten Tonkultur, die so
ganz anders, die bei aller Vielfalt so unbeirrbar persönlich klingt?
Aber der Klang allein wiederum wäre nichts ohne jenes konzentrierte,
rational-kühle Formgefühl, das Ingrid Laubbrock gerade in
den frei improvisierten Passagen ihrer Musik unter Beweis stellt. Sie
verknüpft virtuos und mit einer geradezu atemberaubenden Selbstverständlichkeit
Bezüge auf die Jazztradition mit Kompositionsmodellen der zeitgenössischen
komponierten Musik. Dabei ist es gerade jene scheinbare Leichtigkeit,
mit der sie sich über die Grenzen hinwegsetzt, eine Leichtigkeit,
die erst aus einem hartnäckigen, arbeitsvollen Ernst heraus zu
gestalten ist.“
Soweit das Zitat.
Ingrid Laubrock, 1970 in Westfalen im Münsterland geboren, kannten
bis zur Ankündigung dieses Preises sicher nur wenige von uns.
Ganz einfach deshalb, weil sie schon jung Deutschland verlassen hat
und ins Herz der britischen Jazzszene, nach London, ging. Und dort blieb.
Denn dort ist sie spätestens seit ihrem Debut-Album 1997 „Who
is it“ eine feste, unverzichtbare Größe.
Sie hat der gerne als dogmatisch und humorlos geltenden alten Free-Jazz-Szene
eine neue Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit gegeben.
Es gibt bei ihr keine Verbote, keine Berührungsängste, auch
keine Überheblichkeit gegenüber älteren oder populären
Modellen mehr.
Möglicherweise ist diese neue, unverkrampfte Freiheit , die Souveränität
gegenüber der Tradition und die Echtheit und Originalität
des eigenen Ausdrucks doch eine der Leistungen, für die heute besonders
die Frauen im Jazz stehen.
2007 ist Ingrid Laubrock mit ihrem Nonett in Berlin beim Jazzfest aufgetreten.
Und erregte damit auch die Aufmerksamkeit der Jurymitglieder.
Als dann die Trio-CD „Sleepthief“ erschien, in der Besetzung,
wie wir sie heute abend hören, war sich die Jury einig, daß
Ingrid Laubrock ihre prominenten Mitbewerber um den diesjährigen
SWR Jazzpreis um Längen schlägt.
Die BBC war allerdings schneller als wir. Denn sie hat Ingrid Laubrock
bereits mehrmals geehrt.
2004 erhielt sie den „BBC Award for Innovation“, 2006 ein
Stipendium der britischen Arts Foundation“.
Und heute habe ich die Ehre, Ingrid Laubrock mit dem mit 15.000 Euro
dotierten SWR Jazzpreis, der gemeinsam vom SWR und dem Land Rheinland-Pfalz
verliehen wird, auszuzeichnen.
Die Begründung der Jury lautete:
„Ingrid Laubrock hat auf dem Tenor- und Sopransaxophon eine ganz
eigenständige und unverwechselbare Stimme entwickelt, die sich
flexibel den verschiedensten Kontexten anzupassen vermag. Mit dem Trio
“Sleepthief“ ist es ihr gelungen, völlig freien Improvisationen
formal strukturierte Abläufe zu verleihen, in denen sich zugleich
inhaltliche Komponenten spiegeln: die Zerrissenheit albtraumartiger
Situationen, die Diskontinuität zeitlicher Abläufe in rasenden
Traumsequenzen und der beständige Wechsel des narrativen Tonfalls.
In Ingrid Laubrock, die im Umfeld von Django Bates zu einer der gefragtesten
Jazzmusikerinnen in Großbritannien zählt, findet der deutsche
Jazz in London eine seiner kreativsten und eigenwilligsten Künstlerinnen.“
(Donnerstag,
2. Juli, 19.30 Uhr, Landesfunkhaus Mainz)
|